Die Frau mit dem Muttermal - Roman
umsonst.«
»Das werden wir schon sehen«, sagte Van Veeteren und legte auf.
Wenn sie nur wüsste, dass das meiste, was wir tun, umsonst ist, dachte er. Dann zwängte er sich in seinen Mantel und machte sich auf den Weg.
Sie erwartete ihn bereits am Zaun. Wie er gedacht hatte, handelte es sich um ein blondes Mädchen um die zwanzig – mit Pferdeschwanz und langem Hals. Sie hatte einen Schirm in der Hand und eskortierte ihn gewissenhaft – dass er nicht auf die regennasse Rasenfläche treten musste – den gefliesten Weg entlang bis zur Tür auf der einen Seite des großen zweigeschossigen Hauses.
»Es ist nicht so einfach, den richtigen Weg zu finden«, erklärte sie. »Wir sind vier, die hier ein Zimmer haben. Frau Klausner, die Wirtin, wohnt im Erdgeschoss.«
Van Veeteren nickte. Haus und Garten zeugten von solider, wohlhabender Oberklasse, aber natürlich musste es auch in dieser Gesellschaftsschicht diejenigen geben, die am Rand des Pisspotts wohnten, dachte er. Die Pensionsgäste aufnahmen und das eine oder andere, um zurechtzukommen.
»Erzählen Sie«, bat er, als sie sich in ihrem Zimmer mit Schrägdach und blauer Tapete niedergelassen hatten. »Sie haben eine Frau gesehen, die in einer Telefonzelle einen kleinen Kassettenrecorder benutzt hat, wenn ich es richtig verstanden habe?«
Sie nickte. »Hier in der Halle. Das Telefon ist für die Mieter da. Ja, ich habe sie also da drinnen stehen gesehen. Sie hat ein Aufnahmegerät an den Hörer gedrückt … so einen kleinen Kassettenrecorder.«
»Und wer war das?«, fragte Van Veeteren.
»Frau Adler, die neben mir wohnt.«
»Adler?«, wiederholte Van Veeteren.
»Ja. Maria Adler. Wir sind hier zu viert … Aber ich kenne sie überhaupt nicht. Sie ist meistens für sich.«
»Und wann war das?«
»So ungefähr vor drei Wochen.«
»Nur einmal?«
»Ja.«
»Wie kommt es dann, dass Sie sich daran erinnern?«
Sie überlegte einen Augenblick lang.
»Das kann ich gar nicht sagen. Ich habe danach nie wieder daran gedacht … es ist einfach in mir wieder aufgetaucht, als ich in der Zeitung von dem Mord gelesen habe.«
Van Veeteren nickte und überlegte. Es schien sich hier zumindest um eine ziemlich glaubwürdige junge Dame zu handeln, das konnte man nicht leugnen. Ruhig, besonnen und kaum mit einer Neigung zu Übertreibungen und Hysterie.
Und langsam, ganz langsam wuchs der Gedanke in seinem geläuterten Bewusstsein. Der Gedanke, dass das hier stimmen könnte. Das es so weit war. Wenn dieses blasse Mädchen wusste, wovon sie redete – und es gab nichts, was dem widersprach –, dann war es nicht ausgeschlossen, dass der Mörder sich genau hier befand. Ryszard Maliks, Rickard Maasleitners und Karel Innings’ Mörder oder Mörderin. Wand an Wand. Mit einem Mal konnte er seinen eigenen Puls in der Schläfe spüren.
In dieser zurückgelegenen Villa im Herzen des vornehmen Deijkstraaviertels. Mitten unter Ärzten, Anwälten, Geschäftsführern und Gottweißwas.
Eine Frau also, genau wie Reinhart gesagt hatte, ja, natürlich, es sprach eine ganze Menge dafür … vielleicht in erster Linie dieses leichte Ziehen, das er immer spürte, wenn er auf der richtigen Fährte war. Ein kleines Signal, das zeigte, dass es jetzt plötzlich nach all diesen Stunden und Tagen voller Mühe und Misserfolge ernst wurde.
Und dieses Signal blinkte jetzt in ihm auf.
Die rote Warnlampe.
Natürlich gab es viele Gründe, einen kleinen Kassettenrecorder in einer Telefonzelle zu benutzen, das musste er als
Erstes zugeben. Nahe liegende Gründe, sozusagen. Aber er wollte das einfach nicht glauben. Weigerte sich. Er wollte, dass das hier der Durchbruch war, endlich.
»Also da drinnen?«, fragte er und deutete mit dem Kopf in die Richtung.
Sie nickte.
»Maria Adler?«
»Ja.«
»Wissen Sie, ob sie jetzt zu Hause ist?«
Katrine Kroeller schüttelte den Kopf. Ihr Pferdeschwanz wippte. »Nein. Ich habe sie heute nicht gesehen. Aber sie macht nicht viel Lärm, es ist also möglich, dass sie da ist.«
Van Veeteren stand auf und versuchte, die Lage zu überdenken. Wenn er nach den Polizeivorschriften vorginge, müsste er in so einem Fall natürlich nach Verstärkung rufen. Es müssten mindestens einige Mann sein. Diejenige, die sich vielleicht im Zimmer versteckte, konnte gut und gern die Person sein, die im letzten Monat kaltblütig drei ihrer Mitmenschen niedergeschossen hatte. Sie hatte eine Waffe, sie hatte vermutlich Munition, und normalerweise schoss sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher