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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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aufgetragen, meinen Besuch zufriedenstellend zu gestalten, Oberinspektor Chen.«
    »Und wenn Sie morgen krank sind, wird Parteisekretär Li mir die Schuld geben.«
    »Das Vergnügen eines Abendspaziergangs am Bund ist mir versagt«, erklärte sie mit gespielter Ernsthaftigkeit, klang aber doch ein wenig verzagt dabei. »Ich muß allein in diesem Hotelzimmer hier sitzen. Da ist es doch das mindeste, was Sie für mich tun können.«
    Er verstand, wie sie sich fühlen mußte, mit einem verstauchten Knöchel und gestörter yin-yang- Harmoniein einem Hotelzimmer in einer fremden Stadt, und außer ihm war niemand da, mit dem sie reden konnte. »Na gut«, sagte er, »aber nur wenn Sie sich hinlegen und es sich bequem machen.«
    Sie streifte die Schuhe ab, legte sich auf das Sofa und schob ein Kissen unter den verletzten Fuß. Diese Pose hielt sie für einigermaßen schicklich und achtete darauf, daß ihr Kleid nicht über die Knie hochrutschte.
    »Ach, ich habe ja Herrn Mas Anweisungen ganz vergessen«, sagte er plötzlich. »Lassen Sie mal Ihren Knöchel sehen.«
    »Fühlt sich schon viel besser an.«
    »Aber wir müssen die Salbe entfernen.«
    Als der Verband gelöst war, stellte sie mit Erstaunen fest, daß sich ihr Knöchel blauschwarz verfärbt hatte. »So sah das aber in Herrn Mas Büro noch nicht aus.«
    »Diese gelbe Salbe heißt huangzhizhi. Sie kann Verstauchungen an die Oberfläche bringen und damit die Heilung beschleunigen.«
    Er ging ins Bad und kehrte mit ein paar feuchten Handtüchern zurück.
    »Die Salbe ist jetzt wirkungslos geworden.« Er kniete sich neben sie, um ihren Knöchel abzuwischen. »Tut es noch weh?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf und beobachtete, wie Chen die Verfärbung genau untersuchte und letzte Salbenreste wegwischte.
    »Morgen werden Sie wieder laufen wie eine Antilope.«
    »Vielen Dank«, sagte sie. »Und jetzt die Geschichte.«
    »Möchten Sie vielleicht etwas dazu trinken?«
    »Ein Glas Weißwein wäre wunderbar. Und Sie?«
    »Dasselbe.«
    Sie sah ihm zu, wie er den Kühlschrank öffnete, eine Flasche herausnahm und mit zwei gefüllten Gläsern zurückkam.
    »Sie geben dem Abend eine besondere Note.« Sie richtete sich ein wenig auf, um an ihrem Wein zu nippen.
    »Die Geschichte reicht in die frühen sechziger Jahre zurück«, begann Chen, der seinen Sessel dicht an das Sofa herangerückt hatte und in sein Weinglas starrte, »als ich noch in die Grundschule ging …«
    In den frühen Sechzigern hatten die Mas einen Laden für gebrauchte Bücher gehabt, den das Ehepaar allein geführt hatte. Als Kind hatte Chen immer seine Comics dort gekauft, aber auf einmal war der Laden von den städtischen Behörden als »schwarzes Zentrum antisozialistischer Aktivitäten« gebrandmarkt worden. Diese Anschuldigung gründete sich auf eine englische Ausgabe des Doktor Schiwago, die in einem der Regale entdeckt worden war. Herr Ma war ins Gefängnis gekommen und hatte von all seinen Büchern nur ein medizinisches Lexikon mitnehmen dürfen. Gegen Ende der achtziger Jahre war er entlassen und rehabilitiert worden. Das alte Ehepaar wollte den Buchladen nicht wieder eröffnen. Herr Ma dachte daran, mit seinem im Gefängnis erworbenen medizinischen Wissen eine Kräuterapotheke aufzumachen. Sein Antrag auf einen Gewerbeschein wanderte ohne viel Aussicht auf Erfolg von einem Bürokratenschreibtisch zum nächsten.
    Chen war damals noch ganz am Beginn seiner Polizeilaufbahn und hatte mit der »Rektifizierungskampagne« eigentlich nichts zu tun. Als er jedoch von Herrn Mas Lage erfuhr, gelang es ihm, durch Parteisekretär Li ein gutes Wort für ihn einzulegen, so daß der alte Mann seine Lizenz bekam.
    Einige Zeit später erzählte er einer Reporterin der Wenhui-Zeitung Herrn Mas Geschichte und hob hervor, daß dieser wegen des Doktor Schiwago zum Kräuterarzt geworden sei. Zu seiner Überraschung schrieb sie daraufhin einen Artikel, der mit »Und alles wegen Doktor Schiwago« überschrieben war. Die Veröffentlichung hatte die Popularität von Herrn Mas Apotheke enorm gesteigert.
    »Deshalb ist das alte Ehepaar Ihnen dankbar«, schloß sie.
    »In Anbetracht dessen, was die beiden in all den Jahren durchgemacht haben, war das eine Kleinigkeit.«
    »Fühlen Sie sich jetzt, wo Sie Oberinspektor sind, noch mehr verantwortlich?«
    »Nun, die Leute klagen über die Schwächen unseres Systems, aber wichtiger ist es, etwas zu tun für Menschen wie die Mas.«
    »Und mit Ihren Verbindungen«, sie hielt inne, um

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