Die Frau mit dem roten Herzen
dem Meer der Fahrräder auftauchte, schien sie schon weit entfernt zu sein.
Diesmal hatte es keinen Unfall gegeben.
Erleichtert seufzte er auf.
Dann rief er Meiling im Büro der Shanghaier Verkehrsüberwachung an.
»Was gibt es, Direktor Chen.«
»Nennen Sie mich doch nicht so, Meiling. Ich war doch nur der Stellvertreter, solange Direktor Wei im Krankenhaus war.«
Mittlerweile war Direktor Wei wieder da, doch seine Gesundheit blieb angeschlagen. Es gab Gerüchte, daß Chen seine zeitweilige Funktion dort wieder aufnehmen sollte. Doch das war ein Angebot, dem er zu widerstehen gedachte.
»Ich betrachte Sie aber noch immer als meinen Chef«, insistierte Meiling. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«
»In der Shanxi Lu gibt es einen Karaoke-Club namens Dynasty. Die Verkehrsüberwachung ist wegen der Ausweisung einer Parkfläche an den Besitzer, einen gewissen Gu Haiguang, herangetreten. Falls es sich dabei um einen Ermessensfall handelt, wäre es dann möglich, die Sache einmal genauer in Augenschein zu nehmen?«
»Aber natürlich. Wenn Sie das wünschen?«
»Es eilt überhaupt nicht. Allerdings wäre mir daran gelegen, daß Sie sich mit Gu in Verbindung setzen, bevor weitere Schritte unternommen werden. Sagen Sie ihm einfach, daß ich Sie darauf angesprochen habe und daß die Verkehrsüberwachung der Sache nachgehen wird. Machen Sie ihm keine Hoffnung auf einen positiven Bescheid, und versprechen Sie auch sonst nichts.«
»Verstehe. Ich werde Direktor Wei bitten, ihn anzurufen. Er hat eine hohe Meinung von Ihnen.«
»Nein, bemühen Sie sich nicht extra, Meiling. Wenn Sie ihn morgen selbst kurz anrufen, reicht das vollkommen.«
»Das werde ich gleich morgen früh tun. Herr Gu wird die Antwort bekommen, die Sie für richtig halten.«
»Außerdem benötige ich für ein paar Tage die Unterstützung des Alten Jägers«, fügte er hinzu. »Ich befasse mich mit einem wichtigen Fall. Da brauche ich vertrauenswürdige Mitarbeiter wie Sie und den Alten Jäger.«
»Es freut mich, daß Sie mich mit ihm in eine Reihe stellen. Der alte Herr hat bei uns nur Beraterstatus und muß sich nicht täglich hier melden. Er kann also durchaus mal für eine Woche an einer wichtigen Verkehrsstudie arbeiten. Ich werde Direktor Wei diesbezüglich informieren.«
»Haben Sie herzlichen Dank, Meiling. Ich stehe schwer in Ihrer Schuld. Wenn die laufenden Ermittlungen abgeschlossen sind, führe ich Sie zu einem Karaoke-Abend ins Dynasty aus. Ich habe eine VIP-Karte.«
»Wann immer Sie Zeit haben, Direktor Chen. Machen Sie’s gut.«
Chens nächster Anruf galt dem Alten Jäger. »Ich muß Sie noch um einen weiteren Gefallen bitten, Onkel Yu. Der Dynasty Karaoke Club in der Shanxi Lu muß überwacht werden. Der Besitzer heißt Gu Haiguang. Lassen Sie rund um die Uhr sein Telefon abhören, informieren Sie sich über seine Vergangenheit, aber tun Sie das möglichst ohne Wissen des Präsidiums.«
»Man weiß nie, über welche Verbindungen so ein Senkrechtstarter innerhalb des Präsidiums verfügt«, bemerkte der Alte Jäger. »Sie tun gut daran, vorsichtig zu sein. Das ist ein Job für einen alten Jäger. Ich habe noch immer eine gute Nase, und hellhörig bin ich auch. Aber was wird aus meinen Aufgaben bei der Verkehrsüberwachung?«
»Ich habe mit Meiling gesprochen. Sie müssen sich während der kommenden Woche nicht dort melden.«
»Sehr gut. Ich werde mich tagsüber vor dem Haupteingang postieren und jemanden als Gast einschleusen. Aber Moment mal, ich hab da noch eine bessere Idee. Ein paar alte Leute frequentieren regelmäßig den Club, um Zeit totzuschlagen und sich alte Schlager anzuhören. Die brauchen kein Separee. Und für die Telefonüberwachung weiß ich auch schon jemanden: Yang Guozhuang, ebenfalls ein Polizist im Ruhestand. Er hat vor der Pensionierung jahrelang in Tibet gearbeitet. Ich war ihm behilflich, eine Zuzugsgenehmigung für Shanghai zu bekommen, so daß er in die Stadt zurückkehren konnte. 1957 war er als Rechtsabweichler eingestuft worden. Er hat vieles durchgemacht. Und wissen Sie weshalb? Bloß wegen eines Eintrags in seinem Tagebuch.«
»Vielen Dank, Onkel Yu.« Chen war klar, daß er den alten Herrn bremsen mußte, wenn er nicht alles über das Schicksal des armen Herrn Yang während der Anti-Rechts-Kampagne erfahren wollte. »Falls Sie sich im Club doch lieber ein Separee nehmen möchten, dann ist das kein Problem, wir haben einen Sonderfond für solche Fälle.«
»Steht Gu mit den
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