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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Garder
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noch ein paar Tage zusammen haben, du und ich, wir dachten, das hier könnte unsere letzteEskapade sein. Haben wir uns nicht als frisch verheiratet ausgegeben? Erst vier Jahre zuvor war ja das sogenannte Konkubinatsgesetz aufgehoben worden, und noch in unserem ersten gemeinsamen Jahr hätte unser Zusammenleben ohne Trauschein als anstößig und strafbar bei der Polizei angezeigt werden können.
    Wir baten jedenfalls um ihr schönstes Zimmer, wir hätten etwas zu feiern, sagten wir, ich glaube, wir haben ihnen die Geschichte gleich zweier bestandener Examen aufgetischt. Es war immerhin nicht komplett gelogen, denn ich hatte gerade meine Zwischenprüfung in Religionsgeschichte und du eine in Physik abgelegt.
    Das mit dem schönsten Zimmer war kein Problem, es war noch nicht Hochsaison. Wir bekamen das Turmzimmer, und ein bisschen zögere ich, es hinzuschreiben, aber im selben Zimmer hat man auch Niels Petter und mich untergebracht, als wir neulich abends dort eintrafen. Es war seltsam, wieder dort zu sein – mit ihm. Ich bin mir übrigens nicht sicher, für wie zufällig ich es halten soll, dass wir im selben Zimmer gelandet sind. Er war es, der eingecheckt hat, und ich habe einen großzügigen Mann geheiratet. Es war hart für ihn, dass ich, statt mit ihm das Bücherdorf zu besuchen, fast die ganze Zeit mit dir unterwegs war. Wir hatten uns darauf gefreut, die Antiquariate nach all den Büchern zu durchstöbern, die wir in jungen Jahren nicht zu lesen geschafft hatten, aber ich glaube, ich habe dir schon geschrieben, dass er sich auf der Heimfahrt wieder gefangen hat.
     
    An jenem Morgen an der Rezeption äußerten wir auch einen Wunsch, der verräterisch hätte sein können, aber wir fanden, uns bliebe keine Wahl: Wir fragten, ob es auf dem Zimmer Radio gebe, und als die Antwort negativ ausfiel, baten wir um ein Kofferradio. Es war ein Risiko, aber wirfühlten uns so verzweifelt uninformiert. Wir sagten, du wärst Jurastudent und wolltest die Nachrichtensendungen verfolgen. Es gehe um Deutschland und die RAF, sagte ich.
    Es war nur einige Tage, nachdem Ulrike Meinhof in Stammheim tot aufgefunden worden war. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, aber gut möglich, dass ich uns in unserer Verwirrung in einer ähnlichen Lage sah wie Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Du hast mich mit einem verärgerten Blick bedacht.
    So bekamen wir das Zimmer und ein Radio. Wir hatten einen eigenen halbkreisförmigen Balkon mit großartigem Blick auf den Fjord, die Berge und den Gletscher. Aber als wir an dem Vormittag das Zimmer betraten, legten wir uns ins Bett und ließen das Radio laufen. Wir schauten nicht einmal auf die Uhr, wir waren fast sicher, dass im Radio ausschließlich von uns die Rede sein würde. Kurz bevor wir uns dem Schlaf ergaben, hörten wir noch die Nachrichten. Es gab Neues aus dem In- und Ausland. In Norwegen sollte das Einzugsalter für Wehrpflichtige von zwanzig auf neunzehn Jahre gesenkt werden, und der deutsche Philosoph Martin Heidegger war gestorben. Aber aus den Bergen nichts Neues.
    Dass wir nichts hörten, was uns betraf, quälte uns inzwischen. Von unseren Champagnerprojekten zu Hause im Doppelbett hatten wir Dostojewskis Raskolnikoff noch in frischer Erinnerung. Wie er verspürten wir ein regelrechtes Bedürfnis danach, entlarvt zu werden, oder wenigstens behutsam angesprochen und verhört. Doch wir schliefen unverrichteter Dinge ein, ich glaube, wir haben nicht einmal das Radio ausgeschaltet. Erst am späten Nachmittag wachten wir wieder auf.
     
    Ich wurde davon wach, dass du geweint hast. Jetzt warst du es, der geweint hat. Ich habe dich getröstet. Ich habe einen Armüber deine Brust gelegt, deinen Nacken geküsst und versucht, dich zu wiegen.
    Bald saßen wir wieder im Bett und hörten Radio. Wir hörten halbstündlich die Nachrichten, aber sie brachten nichts. Inzwischen war es sieben Uhr abends, mehr als ein halber Tag war seit dem Vorfall auf dem Hemsedalsfjell vergangen. Es hätte von einem brutalen Mord die Rede sein können, von der Tatwaffe Auto und einem Täter, der sich kaltblütig vom Tatort entfernt hatte, ohne für die Verletzte oder Getötete einen Krankenwagen zu rufen oder die Polizei zu benachrichtigen. »Ein großes Polizeiaufgebot sucht seit dem frühen Morgen …« Aber nichts dergleichen wurde gemeldet. Obwohl wir in unserem Zimmer im Hotel an einem Arm des Sognefjords doch wussten, dass wir die Frau mit dem roten Tuch einfach im Stich gelassen hatten, liegen

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