Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: August Bebel
Vom Netzwerk:
wie mit dem Wesen und dem Zustand der Gesellschaft, in der sie als Vollberechtigte eintreten.
     
    So werden die täglich sich mehrenden Auswüchse bei unserer heutigen Jugend, welche die natürliche Folge des in Fäulnis und Zersetzung begriffenen Gesellschaftszustandes sind, verschwinden. Ungebärdigkeit, Disziplinlosigkeit, Immoralität und rohe Genußsucht, wie sie insbesondere bei der Jugend unserer höheren Bildungsanstalten, auf unseren Gymnasien, Polytechniken, Universitäten usw. sich zeigen, Untugenden, die durch die Zerfahrenheit und Unruhe des häuslichen Lebens und die vergiftenden Einflüsse des sozialen Lebens hervorgerufen und gestärkt werden. Ebenso werden die üblen Einwirkungen des Fabriksystems, der Wohnungsmißverhältnisse, der Ungebundenheit und Selbständigkeit der Jugend in einem Alter, in dem der Mensch am meisten der Zügel und der Erziehung zur Selbstzucht und Selbstbeherrschung bedarf, ihr Ende erreichen. Alle diese Übel wird die künftige Gesellschaft, ohne daß sie nötig hat, zu Zwangsmitteln zu greifen, vermeiden. Die gesellschaftlichen Einrichtungen und die daraus hervorgehende und die Gesellschaft beherrschende geistige Atmosphäre machen sie unmöglich. Wie in der Natur nur Krankheiten und Zerstörung von Organismen eintreten können, wo ein Zersetzungsprozeß vorhanden ist, so auch in der Gesellschaft.
     
    Niemand wird bestreiten wollen, daß unser heutiges Bildungs- und Erziehungswesen an großen und gefährlichen Übelständen krankt, und zwar sind davon mehr die höheren Schulen und Bildungsanstalten betroffen als die niederen. Eine Dorfschule ist ein Muster moralischer Gesundheit gegen ein Gymnasium, eine weibliche Handarbeitsschule für ärmere Kinder ein Muster an Moralität gegenüber einer großen Zahl vornehmer Pensionate. Der Grund ist nicht weit zu suchen. In den oberen Klassen der Gesellschaft ist jedes Streben nach höheren Zielen erstickt, sie haben keine Ideale mehr. Infolge des Mangels an Idealen und höherer zielbewußter Tätigkeit greift die Genußsucht und der Hang zur Ausschweifung mit ihren physischen und moralischen Auswüchsen um sich . Wie kann die Jugend, die in dieser Atmosphäre aufwächst, anders sein? Materieller Lebensgenuß ohne Maß und Grenze ist, was sie sieht und kennenlernt. Warum streben, wenn der Eltern Reichtum das Streben überflüssig erscheinen läßt? Das Bildungs maximum der großen Mehrzahl der Söhne unserer Bourgeoisie besteht in der Ablegung des Einjährig-Freiwilligenexamens. Ist dieses erreicht, so glauben sie, den Pelion und Ossa erstiegen zu haben und fühlen sich als Halbgötter. Haben sie ein Reserveoffizierspatent in der Tasche, so kennt ihr Stolz und Hochmut kaum noch eine Grenze. Den Einfluß, den diese in den meisten ihrer Glieder an Charakter und Wissen schwache, aber an Gesinnungstüchtigkeit und Strebertum starke Generation ausübt, kennzeichnet die gegenwärtige Periode als das Reserveoffizierszeitalter. Seine Eigentümlichkeit ist, viel Gesinnung, aber keinen Charakter und wenig Wissen zu haben. Man ist servil nach oben, hochmütig und brutal nach unten.
     
    Die Töchter der höheren Klassen werden zu einem guten Teile zu Zierpuppen, Modenärrinnen und Salondamen erzogen, die von Genuß zu Genuß jagen und schließlich übersättigt an Langeweile und an allen möglichen eingebildeten und wirklichen Krankheiten leiden. Alt geworden, werden sie frömmelnde Betschwestern, Spiritisten und Gesundbeter, die über die Verderbtheit der Welt die Augen verdrehen und die Askese predigen. Für die unteren Schichten macht man Versuche, das Bildungsniveau herabzusetzen. Der Proletarier möchte zu klug werden, das Knechtschaftsverhältnis satt bekommen und sich wider seine irdischen Götter empören. Je dümmer die Masse ist, je leichter läßt sie sich beherrschen und regieren. "Der dümmste Arbeiter ist uns der liebste", erklärten wiederholt ostelbische Großgrundbesitzer auf ihren Versammlungen. In diesem einen Satze liegt ein ganzes Programm.
     
    So steht in bezug auf die Bildungs- und Erziehungsfrage die heutige Gesellschaft ebenso ziellos und ratlos da, wie in allen anderen sozialen Fragen. Was tut sie? Sie ruft nach dem Stocke und predigt Religion, das heißt Ergebenheit und Zufriedenheit denen, die nur allzu ergeben und zufrieden sind; sie lehrt Enthaltsamkeit dort, wo man sich schon des Notwendigsten enthalten muß, weil man es nicht besitzt. Die in ihrer Roheit sich auflehnen, bringt man in sogenannte

Weitere Kostenlose Bücher