Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Christentum
Entgegengesetzt den Gewohnheiten der Römer zur Kaiserzeit, Ehe- und Kinderlosigkeit immer mehr überhandnehmen zu lassen, handelten die Juden. Zwar besaß die Jüdin kein Recht zur Wahl, der Vater bestimmte ihr den Gatten, aber die Ehe war eine Pflicht, die sie getreulich befolgte. Der Talmud rät: "Wenn deine Tochter mannbar ist, so schenke einem deiner Sklaven die Freiheit und verlobe sie mit ihm." Ebenso befolgten die Juden redlich das Gebot ihres Gottes: "Seid fruchtbar und mehret euch." Dementsprechend haben sie allen Verfolgungen und Unterdrückungen zum Trotz sich fleißig vermehrt; sie sind die geschworenen Gegner des Malthusianismus.
Schon Tacitus sagt von ihnen: "Unter ihnen herrscht hartnäckiges Zusammenhalten und bereitwillige Freigebigkeit, aber gegen alle anderen feindseliger Haß. Nie speisen, nie schlafen sie mit Feinden, und obwohl zur Sinnlichkeit äußerst geneigt, enthalten sie sich der Begattung mit Ausländerinnen.... Doch trachten sie auf Vermehrung des Volkes. Denn eines der Nachgeborenen töten, ist ihnen Sünde, und die Seelen der im Treffen oder durch Hinrichtung Umgekommenen halten sie für unsterblich. Daher die Liebe zur Fortpflanzung neben der Verachtung des Todes." Tacitus haßte und verabscheute die Juden, weil sie, ihre väterliche Religion verachtend, Gaben und Schätze zusammenhäuften. Er nennt sie die "schlechtesten Menschen", ein "häßliches Volk" .
Unter der Herrschaft der Römer schlossen sich die Juden immer enger untereinander an. Und unter der langen Leidenszeit, die sie von da ab fast das ganze christliche Mittelalter hindurch zu erdulden hatten, erwuchs jenes innige Familienleben, das der heutigen bürgerlichen Welt als eine Art Muster gilt. Dagegen vollzog sich in der römischen Gesellschaft der Zersetzungs- und Auflösungsprozeß, der das Reich seinem Ende entgegenführte. Der an Wahnsinn grenzenden Ausschweifung trat, als anderes Extrem, die strengste Enthaltsamkeit gegenüber. Wie früher die Ausschweifung, so nahm jetzt die Askese religiöse Formen an. Ein schwärmerischer Fanatismus machte für sie Propaganda. Die alle Schranken niederreißende Schwelgerei und Üppigkeit der herrschenden Klassen stand im grellsten Gegensatz zu der Not und dem Elend der Millionen und aber Millionen, die das erobernde Rom aus allen Ländern der damals bekannten Welt in die Sklaverei nach Italien schleppte. Unter diesen befanden sich auch zahllose Frauen, die vom häuslichen Herd, von den Eltern und vom Manne getrennt und von den Kindern gerissen, das Elend am tiefsten empfanden und sich nach Erlösung sehnten. Eine große Zahl römischer Frauen, angeekelt von dem, was um sie vorging, befand sich in ähnlicher Geistesverfassung. Jede Veränderung ihrer Lage schien ihnen willkommen. Ein tiefes Sehnen nach Veränderung, nach Erlösung ergriff weite Schichten, und der Erlöser schien zu nahen. Die Eroberung des jüdischen Reiches und Jerusalems durch die Römer hatte die Vernichtung der nationalen Selbständigkeit zur Folge und erzeugte unter den asketischen Sekten jenes Landes Schwärmer, welche die Entstehung eines neuen Reiches, das allen Freiheit und Glück bringen werde, verkündigten.
Christus kam und das Christentum entstand. Es verkörperte die Opposition gegen den bestialischen Materialismus, der unter den Großen und Reichen des römischen Reiches herrschte, es repräsentierte die Auflehnung gegen die Mißachtung und die Unterdrückung der Massen. Aber da es dem Judentum entstammte, das nur die Rechtlosigkeit der Frau kannte und, in der biblischen Vorstellung befangen, sie als die Urheberin alles Übels ansah, predigte es die Verachtung der Frau, die Enthaltsamkeit und die Vernichtung des Fleisches, das in jener Zeit so schwer sündigte, und verwies mit seinen doppelsinnigen Redewendungen auf ein künftiges Reich, das die einen als himmlisches, die anderen als irdisches deuteten, das Freiheit und Gerechtigkeit allen bringe. Mit diesen Lehren fand es in dem Sumpfboden des römischen Reiches einen fruchtbaren Untergrund. Die Frau, wie alle Elenden, auf Befreiung und Erlösung aus ihrer Lage hoffend, schloß sich eifrig und bereitwillig ihm an. Hat doch bis heute keine große bedeutungsvolle Bewegung in der Welt sich vollzogen, in der nicht auch Frauen als Kämpferinnen und Märtyrerinnen hervorragten. Diejenigen, die das Christentum als eine große Kulturerrungenschaft preisen, sollten nicht vergessen, daß es gerade die Frau war, der es einen
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