Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Wänden hingen Fotos von Schiffsunglücken, Stürmen und die Porträts von Generationen von Leuchtturmwärtern und ihren Familien.
Unter den Bildern standen Glasvitrinen, die kleine Ausstellungsstücke enthielten, nautische Instrumente und Logbücher, die die Leuchtturmwärter über viele Jahre hinweg geführt hatten.
»Das sind wunderbare Stücke«, meinte ich und beugte mich vor, um unter dem Glas einige sogenannte Scrimshaws zu betrachten, Ritzzeichnungen, die traditionell auf Walfischknochen angefertigt wurden.
»Die Leuchtturmwärter haben ein ziemlich abgeschiedenes Leben geführt«, erklärte Dan. »Bevor in den 40er Jahren der erhöht angelegte Damm erbaut wurde, der auf die Insel führt, war der Leuchtturm bei hohem Seegang oft vom Festland abgeschnitten. Handwerksarbeiten wie die Herstellung von Scrimshaws halfen ihnen, sich die langen, stürmischen Nächte zu vertreiben, und ihre kleinen Kunstwerke wurden oft im Dorf verkauft und ergänzten das schmale Gehalt der Leuchtturmwärter.«
»Zu schade, dass sie nicht ahnen konnten, was solche Scrimshaws heute auf dem Sammlermarkt wert sind«, bemerkte ich. »Ihre Nachkommen könnten alle reich sein.«
Dan hielt inne und lächelte betreten. »Mein Ur-Urgroßvater wäre sehr froh gewesen, das zu hören«, sagte er und wies auf das Bild eines weißbärtigen alten Seebären, der vor dem Häuschen stand. »Der alte Ben Freedman
hier war der erste Leuchtturmwärter von Maidenstone.« Liebevoll strich Dan über das Foto. »Doch leider ist der arme alte Bursche so gut wie mittellos gestorben.«
Wie jedes andere Kind in Freedman’s Cove hatte ich die Geschichte von Ben Freedman in meiner Jugend oft gehört. Die Stadt, die einmal Southport geheißen hatte, war zu seinen Ehren in Freedman’s Cove umbenannt worden. Denn der Leuchtturmwärter hatte heldenhaft sein Leben riskiert, als er sich 1875 mit einem winzigen Ruderboot in eine mörderische Brandung gestürzt hatte, um die Besatzung eines untergehenden Schiffs zu retten.
Aber ich erinnerte mich auch an das, was man sich hinter vorgehaltener Hand über die Freedmans erzählte. Tante Ellen hatte oft darauf angespielt, wenn der rebellische Danny zu uns gekommen war, um unseren Rasen zu mähen. Sie hatte immer gemeint, es sei eine Schande, dass aus den Nachfahren dieses Helden der Stadt nichts Besseres geworden sei als ein Haufen armer Säufer und Hummerfischer, und sie hoffe nicht, dass der arme Danny auch in diese Richtung ausschlagen werde.
»Dein Vorfahr muss ein bemerkenswerter Mensch gewesen sein«, meinte ich diplomatisch, während ich versuchte, den harten Blick des ergrauten alten Kauzes auf dem Foto zu deuten.
»Nun ja, du wirst das nicht in den offiziellen Annalen finden«, gab Dan zurück, »aber ich fürchte, mein glückloser Ahnherr hat ein Ende als stadtbekannter Säufer genommen.«
Ich zog die Brauen hoch und sagte nichts, denn das entsprach genau dem, was ich gehört hatte.
»Wie aus seinem Tagebuch hervorgeht«, fuhr Dan fort, »ist Ben Freedman ursprünglich Leuchtturmwärter
geworden, weil er nicht mit anderen Menschen auskam. Als er dann durch die Rettungsaktion über Nacht berühmt wurde, ist er einfach nicht damit fertig geworden. Er hat es nicht schriftlich geäußert, aber der alte Ben soll meiner Urgroßmutter einmal erklärt haben, er greife nur zur Flasche, weil er dann die Menschen besser ertragen könne.«
Ich nickte, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
Dan beendete die verlegene Pause, indem er meine Hand nahm. »Wann bist du eigentlich zuletzt auf dem Leuchtturm gewesen?«, fragte er.
»Mit ungefähr zwölf«, gab ich mit einem unguten Gefühl zurück. Das war damals eine Mutprobe gewesen, und ich erinnerte mich vage an einen langen, schwindelerregenden Aufstieg über die eiserne Wendeltreppe und anschließend einen Übelkeit einflößenden Ausblick aus der runden Glaskuppel an der Spitze. Hinterher war mir schlecht gewesen.
Ich hielt im Allgemeinen nicht viel von großer Höhe.
Durch eine schwere Stahltür traten wir in das feuchtkalte Innere des Leuchtturms. Hoch über uns brummte irgendwo leise ein Elektromotor. Sofort spürte ich, wie die Düsternis wie ein Gewicht auf mir lastete, und ich erschauerte angesichts der massiven schwarzen Wendeltreppe, die das Turminnere einnahm und den Großteil des schwachen Lichts schluckte, das hundert Fuß über uns durch die Kuppel einfiel.
Mit einem lauten, metallischen Scheppern, das in dem abgeschlossenen Raum
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