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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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dass eine junge Dame von ihrer gesellschaftlichen Stellung und viktorianischen Sensibilität sich nie so grob ausgedrückt hätte.
    »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Ich weiß, Frauen haben nicht so geredet, als du noch … zu deiner Zeit, meine ich.«
    »Es ist aber wahr«, flüsterte sie, nachdem sie noch einmal schmerzlich in sich gegangen war. »Amos Carter war genau das, was du gesagt hast, und noch Schlimmeres. Er war ein schrecklicher, fürchterlicher Mann.«
    Der Kopf sank ihr auf die Brust, und sie schluchzte, als bräche ihr das Herz. »Er hat alles, was zwischen Ned
und mir so wunderbar war, schmutzig und verkommen aussehen lassen«, sagte sie und weinte.
    Mädchenhafte Unschuld stand in Aimees Augen, als sie zu mir aufsah. »Ned und ich wollten heiraten«, sagte sie. »Wir hatten uns verlobt. Ich habe ihn nur verlassen und bin nach Hause zurückgekehrt, weil Vater drohte, meinen Liebsten ins Gefängnis werfen zu lassen.«
    Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. »Vater wollte einfach nicht begreifen, dass Ned mich so gemalt hat wie die großen Meister der Renaissance, voller Reinheit und Ehrerbietung …«
    Darauf gab ich lieber keine Antwort. Glücklicherweise hatte Aimee nicht die geringste Ahnung, dass ihr Bild schließlich in der Bar des Greystone gelandet war, um dort von Generationen reicher alter Männer lüstern beglotzt zu werden. Offenbar hatte sie nicht lange genug gelebt, um festzustellen, dass Ned Bingham kein bisschen besser gewesen war als dieser abscheuliche Bastard Amos Carter.
    Langsam war ich mir sicher, dass ich alles begriff. »In der Nacht, in der du gestürzt bist …«, begann ich, entschlossen, das Gespräch auf das Thema ihres Todes zurückzulenken. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Amos Carter dich da mit einer neuen Drohung auf den Leuchtturm gelockt hat? Und dass er dich dann hinabgestoßen hat, als du seine Avancen zurückgewiesen hast?«
    Verblüfft weiteten sich Aimees dunkle Augen, und sie schüttelte entschieden den Kopf. »Oh nein«, rief sie aus. »Das war alles ganz, ganz anders.«
    Mit einem Mal versagte ihr die Stimme, und sie wandte sich ab und schaute aus dem Fenster zu dem
geisterhaft weißen Umriss des alten Steinturms auf der nahe gelegenen Insel.
    »Wenn es so gewesen wäre …« Sie seufzte, als wünschte sie sich sehnsüchtig, es wäre wahr. »Wenn Amos Carter mich umgebracht hätte, dann hätte ich gleich in die Arme der liebenden Menschen gehen können, die im himmlischen Licht auf mich warteten.«
    Zutiefst bekümmert lag Aimee auf den Knien und wiegte sich vor und zurück, so dass ihre pechschwarzen Locken um ihre elfenbeinblassen Schultern wogten.
    »Hätte mich dieser schreckliche Mann doch getötet«, seufzte sie, dieses Mal nicht an mich, sondern an das unerklärliche, grausame Schicksal gerichtet, das sie für alle Ewigkeit in ihrem Zwischenreich festhielt, »dann wäre ich längst in die Herrlichkeit auf der anderen Seite eingegangen.«
    Ich starrte sie verblüfft an. Draußen krachte es laut; von dem Baum im Garten war ein weiterer Ast abgebrochen.

28. Kapitel
    Nach ein paar Stunden unruhigen Schlafs hatte ich kurz nach Sonnenaufgang beunruhigt Dan angerufen. Er war mit dem Wagen herübergekommen und hatte mich zum Frühstück abgeholt. Jetzt saßen wir an einem Fenstertisch im Krabb’s mit der Aussicht auf das bewegte Wasser des Hafens.
    Dan war buchstäblich wie vom Donner gerührt.
    »Du sagst, Amos Carter ist unschuldig? Aimee Marks hat tatsächlich Selbstmord begangen, indem sie vom Leuchtturm gesprungen ist …«
    Ich hob die Hände, um ihn zu unterbrechen. »Ich habe nichts dergleichen gesagt! Außerdem hat Amos Carter Aimee vielleicht nicht umgebracht, aber unschuldig ist er deswegen noch lange nicht«, konterte ich ärgerlich. »Wenn es wirklich eine Hölle gibt, dann hoffe ich von ganzem Herzen, dass dieser …« Ich hielt inne, um meine Fassung zurückzugewinnen. »Jedenfalls hoffe ich, dass er dort schmort.«
    Ich holte tief Luft und versuchte, gelassener fortzufahren. »Aimees Tod war eine viel komplexere Angelegenheit als ein einfacher Selbstmord. Du hast mich bloß nicht ausreden lassen.«
    Dan hob die Hände und lehnte sich an das scheußliche rosa Vinylpolster der Bank zurück. »Tut mir leid«, meinte er ehrlich verwirrt. »Aber wenn Amos sie nicht
getötet hat und Aimee sich nicht selbst umgebracht hat, wer war es dann?«
    Ehe ich antworten konnte, trat eine müde aussehende Kellnerin mit zwei Bechern heißem

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