Die Frau vom Leuchtturm - Roman
lief ich knallrot an, denn mir fielen ein paar Dinge ein, die ich in diesem Zimmer getan hatte, besonders als pubertärer Teenager.
Aimee lächelte sittsam. »Oh, ich habe immer versucht, deine Privatsphäre zu respektieren«, sagte sie.
»Als du … ein junges Mädchen warst, war ich oft gar nicht hier.«
»Danke«, hauchte ich erleichtert. Ich öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, überlegte es mir aber anders und verstummte. Fragend zog Aimee ihre dunklen Brauen hoch.
»Es … es tut mir leid«, stotterte ich. »Mir ist nur gerade aufgefallen, dass ich hier sitze und mich mit einem … Gespenst unterhalte. Und ich dachte, dass ich eigentlich schreckliche Angst haben müsste.«
»Oh, aber ich könnte dir nie, niemals etwas tun«, rief sie aus.
Ich hob die Hände, um ihr zu zeigen, dass ich mich nicht fürchtete. Allerdings bemerkte ich, dass sie heftig zitterten. »Ich meine nicht, dass ich Angst vor dir habe«, versicherte ich ihr. »Ich habe bloß noch nie mit einem Gesp …«
Wieder erhellte ein Lächeln ihre wunderschönen Züge. »Gespenst ist ein passendes Wort«, sagte sie. »Oder Geist, wenn dir das lieber ist.« Aimee hielt einen Moment inne und dachte nach. »Als du ein kleines Kind warst, bin ich oft in dieses Zimmer gekommen, um nach dir zu sehen. Du warst immer so traurig und einsam …«
Schniefend setzte ich mich auf. »Ich habe viel um meine Mutter geweint«, sagte ich und erinnerte mich an die Seelenqualen dieser frühen Jahre.
Aimee nickte. »Es brach mir das Herz, dich bei Nacht in dein Kissen schluchzen zu sehen. Manchmal habe ich mich dann an dein Bett gesetzt und dir Schlaflieder vorgesungen, oder ich habe dir fantastische Geschichten von Reisen in ferne Länder erzählt …«
Ich hatte das Gefühl, mein Herz werde gleich stehen
bleiben. »Das waren immer meine liebsten Träume«, stieß ich hervor. »Träume von einem großen Segelschiff, das mich nach Afrika und Westindien brachte.«
Aimee lächelte erfreut, weil ich mich erinnerte.
Plötzlich hörte ich meine eigene Stimme; ich kicherte hysterisch. Wieder schenkte sie mir einen besorgten Blick. »Und ich habe immer geglaubt, ich hätte als Kind eine so wunderbare Fantasie gehabt«, erklärte ich kopfschüttelnd. »Ich habe mich immer gefragt, was daraus geworden ist, als ich erwachsen wurde.«
»Bitte, ich wollte dich nicht aufregen …«, begann sie, und ihr Schattenbild begann ganz leicht zu verschwimmen.
»Nein«, unterbrach ich sie. »Bitte, geh nicht weg. Mein Gott, das ist so fantastisch …« Ich kniff die Augen zusammen. »Bist du dir sicher, dass ich mir das alles nicht einbilde?«
Aimees perlendes Lachen klang durch den kleinen Raum wie Feenglöckchen im Sommerwind. »Nein«, sagte sie und sah an ihrem durchscheinenden Körper hinunter. »Ich bin wirklich hier … jedenfalls das, was von mir noch übrig ist.«
»Unglaublich!«, seufzte ich und sank erschöpft in die Kissen zurück. Tausend Fragen wirbelten in meinem Kopf umher. Mit einem Mal fielen mir Damon und Bobby und die sorgfältig aufgestellte Liste der Dinge ein, nach denen ich sie hatte fragen wollen. Ich richtete mich im Bett auf und versuchte mich zu fassen.
»Warum bist du hier, Aimee?«, flüsterte ich. »Ich meine, sollten Menschen nicht auf die andere Seite oder hinüber oder wie auch immer … gehen, nachdem sie …?«
»Nachdem sie gestorben sind, meinst du?«
Ich nickte.
»Ja«, antwortete sie ohne zu zögern. »Wenn es Zeit ist, gehen alle weiter.«
»Und du?«
Ein Schatten verdunkelte ihre hübschen Züge. »Ich bin mir nicht sicher«, wisperte sie und klang unglücklich und verwirrt. »Ich … warte noch.«
»Kommst du deswegen her, um aus dem Fenster zu schauen?«, fragte ich. »Weil du auf jemanden wartest?«
»Ich … ich weiß es nicht«, antwortete Aimee leise.
Erneut spürte ich die unerträgliche Traurigkeit, die sie einhüllte. Und plötzlich stürzte auch ich wieder in die tiefe Melancholie, die meine letzten Monate erfüllt hatte. Meine Kehle schwoll zu, und ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen, als ich an Damon dachte und an Bobby und Tante Ellen, die ich kürzlich verloren hatte.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Aimee. Ihre schmale Gestalt schimmerte und begann zu zerfließen wie Rauch im Wind. »Ich hätte nicht kommen und dich betrüben dürfen.«
»Nein«, flehte ich. »Bitte bleib, Aimee. Ich brauche unbedingt deine Hilfe.«
Ihr Bild schien wieder kräftiger zu werden, und sie riss
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