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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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spielte.
    »Halt den Mund!«, befahl ich und zwang meine Augen, offen zu bleiben. Seit fast einer halben Stunde
lag ich auf dem Rücken und sah an die Decke. Wäre nicht der heftige Wind gewesen, der um das Turmzimmer jaulte und die Fensterscheiben in ihren Rahmen klirren ließ, wäre ich sicher schon eingeschlafen gewesen und hätte süße Träume von Liebe mit Dan genossen.
    Du hast ein solches Glück, Mädchen, schnurrte Miss Romantisch, die offensichtlich meine Gedanken gelesen hatte. Glaub mir, heute Nacht wirst du keine bösen Träume haben.
    Und auch keine gespenstischen Besucher , meinte Miss Praktisch gähnend. Warum tust du uns nicht allen einen Gefallen und machst die Lampe aus, damit wir ein wenig schlafen können.
    Ihr Gähnen war ansteckend, und eine Retourkutsche fiel mir so schnell nicht ein. Stattdessen schwieg ich und versuchte sie dadurch zu vertreiben.
    Natürlich schlief ich prompt ein.
    Die Kerze in der Fairy-Lampe war längst erloschen, und die Leuchtanzeige auf meinem Wecker stand auf drei Uhr zweiundzwanzig, als ein besonders heftiger Windstoß das ganze Haus erschütterte. Verschlafen setzte ich mich auf und hörte, wie krachend ein Ast abbrach und auf die Wiese fiel. Mein Blick fiel sofort auf das Fenster, wo die Spitzengardinen sich über dem Boden bauschten.
    Und da sah ich sie.
    Sie stand im Schatten neben dem Kleiderschrank, halb verborgen hinter vielen Schichten fließender Spitze. Ihr Gesicht war von mir abgewandt, und sie hielt mit einer Hand den durchsichtigen Stoff der Gardine beiseite und schaute durch das regennasse Fensterglas nach draußen, genau wie beim ersten Mal.

    Einige Sekunden lang beobachtete ich Aimee Marks’ ätherische Gestalt und wagte kaum zu glauben, dass sie da war. Ich hatte Angst, sie anzusprechen, denn ich fürchtete, dass sie einfach wieder verschwinden würde, wie sie es schon einmal getan hatte.
    Aber sie blieb, wo sie war, regungslos, und richtete ihren Blick auf ein unbestimmtes Etwas im Sturm.
    Langsam richtete ich mich auf und brachte endlich den Mut auf, ihren Namen auszusprechen. »Aimee?«, rief ich mit vor Aufregung zitternder Stimme.
    Zuerst bewegte sie sich nicht, und ich war mir sicher, dass sie mich nicht gehört hatte. Denn der Wind heulte laut um das Dach, und tote Äste schlugen mit einem höllischen Lärm gegen die Hauswände.
    »Aimee?«, fragte ich noch einmal, ein wenig lauter jetzt. »Kannst du mich hören?«
    Langsam drehte sie sich um und schaute durch den dunklen Raum. Leicht runzelte sie die zarte Stirn und neigte den Kopf zur Seite, als sei sie sich nicht ganz sicher, ob sie etwas gehört hatte.
    »Ich bin hier«, sagte ich und streckte die Hand aus, um eine kleine Leselampe einzuschalten. »Hier im Bett.«
    Zu meiner großen Erleichterung schien der kleine, gelbliche Lichtkegel das Gespenst nicht zu vertreiben. Stattdessen sah Aimee mich mit erstaunter Miene direkt an.
    »Kannst du mich sehen?«, fragte sie mit einer Stimme, die so sanft und melodisch war wie ein Windspiel.
    Ich nickte stumm.
    »Und du hörst, wenn ich spreche?«
    Wieder bewegte ich den Kopf. »Ja«, krächzte ich. Wenn mein Herz noch etwas schneller schlug, würde es
explodieren. »Ich kann dich ganz ausgezeichnet sehen und hören. Eigentlich habe ich seit deinem letzten Besuch auf dich gewartet und gehofft, du würdest wiederkommen.«
    Aimee starrte mich immer noch ungläubig an. »Ich war mir gar nicht mehr sicher, ob mich überhaupt noch jemand sehen kann«, sagte sie mit leiser, verzagter Stimme. Sie ließ die Gardine los und trat lautlos einen Schritt auf das Bett zu. »Als Kind konntest du mich anscheinend nicht sehen.«
    Mir war merkwürdig schwindlig. Ich riss den Blick von ihr los und sah zu den transparenten Spitzengardinen, die jetzt langsam und anmutig zu Boden flatterten. »Nein, aber die Gardinen … Als ich klein war …«, begann ich, überwältigt von der Rückkehr einer lange vergessenen Kindheitserinnerung, »dachte ich, die Feen kämen aus dem Garten nach oben geflogen und bauschten meine Gardinen.«
    Aimees schöne, traurige Augen folgten meinem Blick zu der Gardine, die langsam zu Boden sank. Als sie mich wieder ansah, umspielte ein leises Lächeln ihre vollen, sinnlichen Lippen.
    »Ja, ich weiß, dass dir das manchmal ein Lächeln entlockt hat«, wisperte sie. »Manchmal war ich mir sicher, dass du mich gesehen hast, wenn ich am Fenster stand.«
    Staunend schüttelte ich den Kopf. »Mein Gott, du warst die ganze Zeit hier?« Mit einem Mal

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