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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Brutalität für Galanterie; sie kennen die Frauen ebensowenig, wie sie lieben können; sie glauben, daß, wenn sie am Tage darauf in den Tod gehen, sie nicht nötig haben, am Abend vorher Rücksicht gegen uns zu üben. Früher verstand man beides: zu lieben und angemessen zu sterben. Ich werde ihn Ihnen erziehen. Ich werde diesem traurigen Mißklang, der natürlich genug ist, ein Ende machen; sonst werdet ihr euch noch schließlich gegenseitig hassen und eine Scheidung wünschen, wenn Sie nicht schon vorher aus Verzweiflung gestorben sind.«
    Julie hörte ihrer Tante voller Erstaunen und Bestürzung zu, da sie Worte vernahm, deren Weisheit sie mehr ahnen als verstehen konnte. Sie war tief erschrocken, aus dem Munde einer Verwandten von reicher Erfahrung demselben Urteil, nur in etwas milderer Form, zu begegnen, das ihr Vater über Victor gefällt hatte. Es war, als hätte sie eine lebhafte Vorahnung ihres Geschicks und ahnte die Last des Unglücks, das sie niederdrücken würde; sie zerfloß in Tränen und warf sich der alten Dame mit den Worten in die Arme: »Seien Sie meine Mutter!«
    Die Tante weinte nicht; die Revolution hat den Frauen der alten Monarchie wenig Tränen übriggelassen. Die Liebe und später die Schreckenszeit haben sie mit dem jähen Wechsel von Glück und Unglück vertraut gemacht, so daß sie inmitten der Gefahren des Lebens eine kühle Würde wahren und ihre aufrichtige, aber keineswegs überströmende Zuneigung niemals die Grenzen der Etikette überschreitet, und sie haben einen Adel der Haltung, über den sich die heutigen Sitten zu Unrecht hinwegsetzen. Die Marquise nahm die junge Frau in ihre Arme und küßte sie mit einer Zärtlichkeit und Anmut, die oft mehr in den Manieren und Gewohnheiten als im Herzen jener Frauen begründet sind, auf die Stirn; sie liebkoste ihre Nichte mit sanften Worten, verhieß ihr eine glückliche Zukunft, wiegte sie mit Liebesverheißungen ein und half ihr beim Zubettgehen, als ob sie ihre Tochter wäre, eine geliebte Tochter, deren Hoffnungen und Kummer sie teilte. Sie sah sich in ihrer Nichte wieder jung, unerfahren und schön. Die Comtesse schlief ein, beglückt, eine Freundin gefunden zu haben, eine Mutter, der sie künftig alles würde sagen können. Am nächsten Morgen, als sich Tante und Nichte mit tiefer Herzlichkeit und dem gegenseitigen Einverständnis begrüßten, das von einem gewachsenen Gefühl, einem vollkommeneren Zusammenklang der Seelen zeugt, vernahmen sie Pferdegetrappel, wandten beide zugleich den Kopf und sahen den jungen Engländer, seiner Gewohnheit gemäß, langsam vorüberreiten. Er schien das Leben der beiden einsamen Frauen gewissermaßen studiert zu haben, denn er verfehlte nie, sich während ihres Frühstücks und Abendessens einzufinden. Sein Pferd verlangsamte den Schritt schon von selber. Während er an den beiden Fenstern des Speisesaals vorbeikam, warf er einen melancholischen Blick hinein, der von der Comtesse, die ihm keine Aufmerksamkeit schenkte, nur verächtlich aufgenommen wurde. Die Marquise hingegen, die an die armselige Neugier, die man zur Belebung des Provinzlebens an die geringfügigsten Dinge heftet und der sich auch die überlegeneren Menschen nicht ganz erwehren können, gewöhnt war, amüsierte sich über die schüchterne, ernsthafte Liebe, die der Engländer auf eine so schweigsame Weise ausdrückte. Sein regelmäßiges Heraufsehen war ihr wie zur Gewohnheit geworden, und sie machte jeden Tag mit neuen Scherzen auf Arthurs Vorbeireiten aufmerksam. Als sie sich zu Tisch setzten, blickten die beiden Frauen gleichzeitig auf den Engländer. Die Augen Julies und Arthurs begegneten sich diesmal mit einer solchen gefühlsmäßigen Bestimmtheit, daß die junge Frau errötete. Der Engländer trieb sein Pferd an und sprengte davon.
    »Was ist da bloß zu tun?« sagte Julie zu ihrer Tante. »Für die Leute, die diesen Engländer vorbeikommen sehen, bin ich unzweifelhaft...« – »Ja«, unterbrach die Tante sie. – »Nun, könnte ich ihm nicht sagen lassen, er möchte anderswo spazierenreiten?« – »Damit würde man ihm ja zu verstehen geben, daß man ihn für gefährlich hält. Und übrigens kann man ihm doch nicht verbieten, zu reiten, wo es ihm beliebt. Wir werden morgen nicht mehr in diesem Zimmer essen; wenn uns der junge Herr nicht mehr sieht, wird er davon abstehen, Sie durch das Fenster zu lieben. Das ist die Art, mein liebes Kind, wie sich eine Frau der guten Gesellschaft benimmt.«
    Doch Julies Unglück

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