Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
ist, unter Glas gesetzt zu werden, und bei dem man beständig an seine Zerbrechlichkeit und Kostbarkeit denken muß. Führst du dein schönes Pferd oft aus, das du, wie man sagt, dem Schnee und Regen auszusetzen fürchtest? Das ist meine Geschichte. Es ist wahr, daß ich der Tugend meiner Frau sicher bin, aber meine Ehe ist ein reiner Luxus, und wenn du glaubst, daß ich verheiratet bin, irrst du dich. Meine Untreue ist gewissermaßen legitim. Ich möchte wohl wissen, was ihr an meiner Stelle tätet, ihr Herren Spötter? Viele Männer würden nicht solche Schonung wie ich gegen meine Frau geübt haben. Ich bin überzeugt«, fügte er leise hinzu, »daß Madame d'Aiglemont nichts ahnt. Übrigens hätte ich wirklich sehr unrecht, mich zu beklagen, ich bin sehr glücklich ... Nur ist nichts verdrießlicher für einen sensiblen Menschen, als ein armes Geschöpf, an das man gekettet ist, leiden zu sehen...« – »Du mußt sehr sensibel sein«, antwortete Monsieur de Ronquerolles, »denn du bist selten zu Hause.«
Diese freundschaftliche Bosheit brachte die Zuhörer zum Lachen; nur Arthur blieb kalt und unerschütterlich als Gentleman, der den Ernst zur Basis seines Charakters gemacht hat. Die seltsamen Worte dieses Ehemannes mußten wohl einige Hoffnung in dem jungen Engländer aufkommen lassen. Er wartete geduldig auf den Augenblick, wo er mit Monsieur d'Aiglemont allein sein konnte, und die Gelegenheit bot sich bald.
»Monsieur«, sagte er zu ihm, »ich sehe mit unendlicher Besorgnis den Zustand der Marquise, und wenn Sie wüßten, daß sie elend zugrunde gehen muß, falls sie sich nicht einer besonderen Behandlung unterzieht, so würden Sie wohl, nehme ich an, kaum über ihr Leiden scherzen. Wenn ich so zu Ihnen spreche, ermächtigt mich gewissermaßen die Gewißheit, daß ich Madame d'Aiglemont retten und sie dem Leben und dem Glück zurückgeben kann. Es kommt nicht oft vor, daß ein Mann meiner Herkunft Arzt ist; doch hat der Zufall gewollt, daß ich Medizin studiert habe. Auch langweile ich mich so sehr«, sagte er mit vorgetäuschtem Egoismus, der seine Absichten fördern sollte, »daß es mir einerlei ist, ob ich meine Zeit und meine Reisen für ein leidendes Geschöpf aufwende oder irgendwelchen dummen Launen fröne. Die Heilung dieser Art Krankheiten ist selten, weil sie viel Sorgfalt, Zeit und Geduld erfordert; man muß vor allen Dingen viel Geld haben, muß reisen, aufs genaueste die Vorschriften befolgen, die jeden Tag wechseln und nicht unangenehm sind. Wir sind zwei Edelleute«, sagte er, indem er mit diesem Wort den Sinn des englischen Worts Gentleman verband, »wir können uns verstehen. Ich sage Ihnen im voraus, daß Sie, wenn Sie meinen Vorschlag annehmen, jederzeit der Richter meines Verhaltens sein können. Ich werde nichts ohne Ihren Rat, Ihre Überwachung unternehmen, und ich stehe Ihnen für den Erfolg, wenn Sie einwilligen, mir Folge zu leisten. Ja, wenn Sie für langhin nicht der Gatte von Madame d'Aiglemont sein wollen«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Es steht fest, Mylord«, entgegnete der Marquis lachend, »daß nur ein Engländer mir einen so sonderbaren Vorschlag machen konnte. Gestatten Sie, daß ich ihn zunächst weder annehme noch ablehne, ich werde es mir überlegen. Dann aber muß er vor allem meiner Frau unterbreitet werden.«
In diesem Augenblick erschien Julie wieder am Klavier. Sie sang die Arie der Semiramis ›Son regina, son guerriera‹. Einstimmiger, aber sozusagen stummer Beifall, der höfliche Applaus des Faubourg Saint-Germain, zeugte von dem Enthusiasmus, den sie hervorrief.
Als Julie von ihrem Manne nach Hause gebracht wurde, sah sie mit einem gewissen unruhigen Vergnügen den raschen Erfolg ihrer Versuche. Monsieur d'Aiglemont, von der Rolle, die sie eben gespielt hatte, ermuntert, wollte ihr mit einer plötzlichen Laune eine Ehre erweisen und bemühte sich um sie in der Art, wie er es mit einer Schauspielerin getan hätte. Julie fand es angenehm, so behandelt zu werden, sie, die tugendhaft und verheiratet war; sie versuchte mit ihrer Macht zu spielen, und in diesem ersten Kampf ließ ihre Güte sie noch einmal unterliegen. Doch war dies die schrecklichste Lehre, die ihr vom Schicksal zuteil wurde. Gegen zwei oder drei Uhr morgens saß Julie, in düsteres Nachdenken versunken, in dem ehelichen Bett. Der matte Schein einer Lampe erhellte spärlich das Gemach; tiefste Stille herrschte, und seit ungefähr einer Stunde vergoß die Marquise unter heftigsten
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