Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
schöner Frauen triumphierte Julie über die Comtesse. Sie war geistreich, lebhaft, sprühend, und die vornehmsten Männer der Gesellschaft umringten sie. Zur Verzweiflung der Frauen war ihre Toilette tadellos. Alle beneideten sie um den Schnitt ihres Kleides, den Sitz ihrer Taille, und man schrieb den Eindruck, den sie machte, dem Genie einer unbekannten Schneiderin zu; denn die Frauen glauben lieber an die Macht des Putzes als an die Anmut und Vollkommenheit derer, die dazu geschaffen sind, ihn zur Geltung zu bringen. Als Julie sich erhob und zum Klavier ging, um die Romanze der Desdemona zu singen, kamen die Herren aus allen Salons herbei, um die berühmte Stimme, die seit so langer Zeit stumm geblieben war, zu hören. Tiefe Stille herrschte. Die Marquise war von heftigen Empfindungen bewegt, als sie die Köpfe sich an den Türen drängen und alle Blicke auf sich gerichtet sah. Sie suchte ihren Mann, warf ihm einen koketten Blick zu und sah mit Vergnügen, daß ihre Eigenliebe sich in diesem Augenblick aufs höchste geschmeichelt fühlen durfte. Glücklich über diesen Triumph, entzückte sie die Zuhörer mit dem ersten Teil des ›Al più salice‹. Nie hatte weder die Malibran noch die Pasta mit so vollendetem Gefühlsausdruck und Wohlklang gesungen. Aber, als Julie zur Wiederholung einsetzte, blickte sie in die versammelte Menge und bemerkte Arthur, dessen Blick unverwandt auf ihr ruhte. Sie zuckte zusammen, und ihre Stimme schwankte. Madame de Sérisy stürzte von ihrem Platz auf die Marquise zu.
»Was ist Ihnen, meine Liehe? Oh, die Arme, sie ist so leidend! Ich zitterte, als ich sah, daß sie sich etwas zumutete, was über ihre Kräfte geht...«
Die Romanze wurde abgebrochen. Julie, höchst verdrossen, hatte nicht mehr den Mut fortzufahren und ließ sich das hinterlistige Mitleid ihrer Rivalin gefallen. Alle Frauen flüsterten. Sie diskutierten den Zwischenfall und machten ihre Bemerkungen über den Kampf, der sich zwischen der Marquise und Madame de Sérisy entsponnen hatte, wobei sie letztere in ihren Reden nicht schonend behandelten. Die seltsamen Ahnungen, die Julie so oft in Verwirrung gebracht hatten, waren plötzlich verwirklicht worden. In ihren Phantasien, die sich mit Arthur beschäftigten, hatte sie sich in dem Glauben gewiegt, daß ein Mann von so sanftem und zartem Aussehen seiner ersten Liebe treu bleiben müsse. Manchmal hatte sie sich geschmeichelt, die Gottheit dieser schönen Leidenschaft zu sein, der reinen, echten Leidenschaft eines jungen Mannes, dessen Gedanken allesamt der Geliebten gehören, der ihr alle Augenblicke seines Lebens weiht, keine Winkelzüge kennt, über das errötet, was eine Frau erröten läßt, wie eine Frau denkt, ihr keine Nebenbuhlerin gibt und sich ihr ausliefert, ohne nach Ehre, Ruhm und Reichtum zu streben. Sie hatte all das von Arthur geträumt, aus Laune, zur Zerstreuung; nun glaubte sie plötzlich ihren Traum erfüllt zu sehen. Sie las auf dem beinahe weiblichen Gesicht des jungen Engländers die tiefen Gedanken, die sanfte Schwermut, die schmerzliche Entsagung, deren Ursache sie war. Sie erkannte sich selbst in ihm wieder. Das Unglück und die Melancholie sind die beredtesten Fürsprecher der Liebe und bringen zwei Wesen, die leiden, mit unglaublicher Geschwindigkeit einander nahe. Das innere Erkennen und das Insichaufnehmen von Tatsachen und Gedanken vollzieht sich bei ihnen vollkommen und richtig. Die Heftigkeit ihrer Erschütterung offenbarte der Marquise alle Gefahren der Zukunft. Glücklich, in ihrem gewöhnlichen leidenden Zustand einen Vorwand für ihre Verwirrung zu finden, ließ sie sich willig von dem erheuchelten Mitleid Madame de Sérisys überschütten.
Die Unterbrechung der Romanze war ein Ereignis, über das sich mehrere Gäste in verschiedener Weise unterhielten. Die einen beklagten das Schicksal Julies und bedauerten, daß eine so ungewöhnliche Frau für die Gesellschaft verloren sei, die andern wollten die Ursache ihrer Leiden und der Einsamkeit, in der sie lebte, wissen.
»– Nun, mein lieber Ronquerolles«, sagte der Marquis zu dem Bruder Madame de Sérisys, »du hast mich um mein Glück beneidet, als du Madame d'Aiglemont sahst, und mir Vorwürfe wegen meiner Untreue gemacht? Du würdest mein Los sehr wenig erstrebenswert finden, wenn du wie ich zwei, drei Jahre neben einer schönen Frau lebst, ohne zu wagen, ihr die Hand zu küssen, aus Furcht, sie könnte zerbrechen. Hüte dich nur ja vor solch zierlichem Kleinod, das nur gut
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