Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
auf welchem sie geruht hatte; sie sah den Marquis und stieß einen Schrei aus. Sie war so verändert, daß das Auge eines Vaters dazu gehörte, um sie wiederzuerkennen. Die Sonne der Tropen hatte ihr weißes Gesicht gebräunt und ihm ein wundervolles Kolorit verliehen, das einen Hauch von orientalischer Poesie darüber breitete; es strömte etwas Hoheitsvolles, Erhabenes von ihr aus, ein starkes Gefühl, das selbst auf den rohesten Menschen Eindruck machen mußte. Ihr langes, üppiges Haar, das in schweren Locken auf ihren edelgeformten Hals fiel, erhöhte noch den Ausdruck der Macht auf diesem stolzen Antlitz. In ihrer Haltung, ihrer Gebärde drückte Hélène das Wissen um ihre Macht aus. Eine triumphierende Genugtuung tat sich in dem leichten Blähen ihrer rosigen Nasenflügel kund, und ihre ganze vollentwickelte Schönheit atmete friedliches Glück. Es lag in ihr etwas von der Sanftmut der Jungfrau und zugleich jener besondere Stolz, der den Frauen eigen ist, welche über alles geliebt werden. Sie war zugleich Sklavin und Herrscherin und wollte gehorchen, weil sie herrschen konnte. Sie war mit reizvoller und eleganter Pracht gekleidet. Zwar trug sie nur ein Kleid aus indischem Musselin, aber ihr Diwan und die Kissen waren aus Kaschmir; ein Perserteppich bedeckte den Fußboden ihrer geräumigen Kabine; ihre vier Kinder spielten zu ihren Füßen mit kostbaren Gegenständen und erbauten fremdartige Schlösser aus Perlenhalsbändern, Juwelen und anderen Kostbarkeiten. In Vasen aus Sèvresporzellan, von Madame Jaquotot gemalt, standen balsamisch duftende Blumen; da waren Jasmin aus Mexiko und Kamelien, zwischen denen sich kleine zahme, exotische Vögel schaukelten und wie Rubine, Saphire und lebendiges Gold aussahen. Ein Klavier befand sich in diesem Salon, und auf den mit roter Seide ausgeschlagenen Holzwänden sah man hier und da Bilder, zwar von kleinem Format, aber von den ersten Malern: ein Sonnenuntergang von Gudin hing neben einem Terborch; eine Madonna von Raffael wetteiferte an Zauber mit einer Skizze von Girodet; ein Gérard Dow übertraf einen Drolling. Auf einem Tischchen aus chinesischem Lack stand eine goldene Schale voll köstlicher Früchte. Kurz, in diesem Boudoir schien Hélène die Königin eines weiten Reiches zu sein, in welchem ihr königlicher Geliebter die erlesensten Dinge der Erde angehäuft hatte. Die Kinder betrachteten ihren Großvater lebhaft und durchdringend. Inmitten des Tumults, der Kämpfe und Stürme, an die sie gewöhnt waren, glichen sie jenen nach Kampf und Blut begierigen kleinen Römern, die David auf seinem Gemälde ›Brutus‹ dargestellt hat.
»Wie ist das möglich?« rief Hélène aus und nahm ihren Vater bei den Händen, um sich von der Wirklichkeit seiner Erscheinung zu überzeugen. »Hélène!« – »Vater!« Sie fielen einander in die Arme, doch die Umarmung des Greises war die schwächere, weniger liebevolle. »Sie waren auf diesem Schiff?« – »Ja«, erwiderte er traurig. Er ließ sich auf den Diwan nieder und sah der Reihe nach die Kinder an, die ihn ihrerseits mit unschuldiger Aufmerksamkeit musterten. »Ich wäre umgekommen ohne ...« – »Ohne meinen Mann«, unterbrach sie ihn, »ich verstehe.« – »Ach!« rief der General aus, »muß ich dich so wiederfinden, meine Hélène, dich, die ich so beweint habe! So muß ich dein Schicksal von neuem bejammern.« – »Warum?« fragte sie mit einem Lächeln; »freut es Sie nicht zu erfahren, daß ich die glücklichste aller Frauen bin?« – »Glücklich?« entfuhr es dem General, und er sprang überrascht auf. »Ja, teurer Vater«, erwiderte sie und ergriff seine Hände, die sie küßte und an ihre Brust drückte. Diese Liebkosung begleitete sie mit einem leichten Kopfnicken, das ihre freudestrahlenden Augen noch unterstrichen. »Und wie ist das möglich?« fragte er voller Begierde, das Leben seiner Tochter kennenzulernen. Ihr strahlendes Gesicht ließ ihn alles vergessen. »Hören Sie, Vater«, sprach sie, »ich habe zum Geliebten, zum Gatten, zum Diener, zum Herrn einen Mann, dessen Seele so grenzenlos ist wie die Weite dieses Meeres, so unerschöpflich an Güte wie der Himmel, mit einem Wort: einen Gott. In sieben Jahren hat kein Wort, kein Gefühl, keine Miene den leisesten Mißklang in die himmlische Harmonie seiner Gespräche, seiner Zärtlichkeiten und seiner Liebe gebracht. Nie hat er mich anders angesehen als mit einem holden Lächeln auf den Lippen, einem Freudenstrahl in den Augen. Dort oben
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