Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
sich zu rechtfertigen. »Und wie ist es möglich«, warf der General ein, »daß Sie nicht angesichts der neuen Morde, die vor meinen Augen begangen worden sind, Gewissensbisse empfinden?« – »Wir hatten keine Lebensmittel mehr«, versetzte der Korsar. »Wenn Sie diese Leute an der Küste abgesetzt hätten ...« – »Sie hätten uns durch irgendein Schiff den Rückzug abschneiden lassen, und wir wären nicht nach Chile gekommen.« Der General unterbrach ihn: »Bevor man von Frankreich aus die spanische Admiralität in Kenntnis gesetzt hätte ...« – »Aber Frankreich hätte wohl nicht in Ordnung gefunden, daß ein Mann, der noch vor einen Gerichtshof gehört, sich einer Brigg bemächtigt, die von Kaufleuten aus Bordeaux geheuert war. Im übrigen, haben Sie auf dem Schlachtfelde niemals ein paar Kanonenschüsse zuviel abgefeuert?« Der General, den der Blick des Korsaren einschüchterte, schwieg. Und seine Tochter richtete einen Blick auf ihn, in dem ebensoviel Triumph wie Trauer zu lesen war. »General«, sagte der Korsar mit warmem Ton, »ich habe es mir zum Gesetz gemacht, niemals mehr, als mir zukommt, von der Beute für mich zu nehmen. Aber zweifellos wird mein Gewinn viel größer sein, als Ihr Vermögen war. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen in anderer Münze zurückerstatte...« Er nahm aus einer Schublade des Klaviers eine Menge Banknoten, ohne die Päckchen zu zählen, und überreichte dem Marquis eine Million. »Sie begreifen«, begann er wieder, »daß ich mir das Vergnügen, die Leute auf der Straße von Bordeaux zu betrachten, nicht leisten kann ... Wenn es Sie also nicht reizt, die Gefahren unseres Vagabundenlebens mitzumachen, die Naturschauspiele Südamerikas, unsere tropischen Nächte, unsere Schlachten mitzuerleben und die Flagge einer jungen Nation oder den Namen Simon Bolivar siegreich zu sehen, so müssen Sie uns verlassen. Eine Schaluppe und ergebene Männer erwarten Sie. Hoffen wir, daß eine dritte Begegnung ungetrübter sein möge ...« – »Victor, ich möchte meinen Vater noch einen Augenblick sehen«, bat Hélène in einem leicht schmollenden Ton. »Zehn Minuten weniger oder mehr, wir können mit einer Fregatte zusammengeraten. Nun, sei's drum, dann werden wir uns ein bißchen amüsieren! Unsere Leute langweilen sich schon.« – »O geh, Vater«, rief die Frau des Seemanns, »und bring meiner Schwester, meinen Brüdern, meiner...«, sie zögerte ein wenig, »meiner Mutter diese Erinnerungszeichen!« Sie ergriff eine Handvoll kostbarer Steine, Perlenhalsbänder, Juwelen, wickelte sie in einen Kaschmirschal und reichte sie scheu ihrem Vater. »Und was soll ich ihnen von dir sagen?« fragte er, betroffen von dem Widerstreben seiner Tochter, das Wort ›Mutter‹ auszusprechen. »Oh, können Sie an meinem Herzen zweifeln? Ich bete jeden Tag für ihr Glück.« Der alte Mann ließ einen langen Blick auf ihr ruhen und sagte dann: »Hélène, soll ich dich niemals wiedersehen? Werde ich denn nie erfahren, aus welchem Grunde du uns verlassen hast?« Sie erwiderte mit traurig-ernstem Ton: »Dieses Geheimnis gehört nicht mir allein. Aber selbst wenn ich das Recht hätte, es dir zu enthüllen, so würde ich es vielleicht auch dann nicht tun. Ich habe zehn Jahre lang Unerhörtes erduldet...«
Sie brach ab und reichte ihrem Vater die Geschenke hin, die sie für ihre Angehörigen bestimmt hatte. Der General, der durch die Kriegsereignisse in puncto Beute an einige Weitherzigkeit gewöhnt war, nahm das von seiner Tochter Dargebotene entgegen und gab sich der wohltuenden Hoffnung hin, daß der Pariser Kapitän unter dem Einfluß einer so reinen und edlen Seele wie der Hélènes ehrenhaft bleiben würde, auch wenn er die Spanier bekriegte. Schließlich siegte seine Liebe für diese Menschen über alle Bedenken. Er sah ein, daß es lächerlich wäre, spröde zu tun. Daher drückte er kräftig die Hand des Korsaren. Dann umarmte er seine Hélène, seine einzige Tochter, mit der den Soldaten besonders eigenen Zärtlichkeit und benetzte ihr stolzes Gesicht, aus dem ihm schon immer eine kühne, männliche Entschlossenheit entgegengestrahlt hatte, mit Tränen. Der Seefahrer brachte ihm, tieferschüttert, seine Kinder, daß er sie segne. Zum Schluß sagten sich alle mit einem langen Blick voller Rührung zum letzten Mal Lebewohl. »Bleibt immer glücklich!« rief der Großvater und eilte aufs Deck.
Auf dem Meere erwartete den General ein seltsames Schauspiel. Die ›Sankt Ferdinand‹, die in Brand
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