Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
suchte ihn zu trösten. »Warum wollen Sie alle Hoffnungen aufgeben? All Ihre Passagiere sind Franzosen. Sie haben Ihr Schiff an sie vermietet. Dieser Korsar ist Pariser, sagen Sie? Nun, hissen Sie die weiße Flagge und ...« – »Und er wird uns in den Grund bohren«, erwiderte der Kapitän; »ist das unter diesen Umständen nicht alles, was er tun muß, um sich reiche Beute zu verschaffen?« – »Ja, wenn er ein Seeräuber ist...« – »Seeräuber!« sagte der Matrose wild; »oh! er hält sich immer an das Gesetz oder weiß die Sache zu drehen.« – »Nun denn«, erwiderte der General und hob die Augen zum Himmel, »ergeben wir uns drein.« Und er hatte noch so viel Kraft, seine Tränen zurückzudrängen. Kaum hatte er diese Worte gesagt, als eine zweite, besser gezielte Kugel in den Rumpf der ›Sankt Ferdinand‹ eindrang. »Legt das Schiff back«, sagte der Kapitän traurig.
Und der Matrose, der den ›Pariser‹ verteidigt hatte, half dieses verzweifelte Manöver in sehr geschickter Weise ausführen. Die Mannschaft verharrte eine tödliche halbe Stunde in der fürchterlichsten Bestürzung. Die ›Sankt Ferdinand‹ führte vier Millionen Piaster mit sich, die das Vermögen der fünf Passagiere ausmachten, und das des Generals betrug elfhunderttausend Francs. Die ›Othello‹ befand sich nun in einer Entfernung von zehn Flintenschußweiten, und man konnte deutlich die drohenden Schlünde von zwölf Kanonen unterscheiden, die bereit waren, Feuer zu geben. Er schien von einem Winde getragen zu sein, den der Teufel eigens für ihn blies; doch das Auge eines geübten Matrosen erriet unschwer das Geheimnis dieser Geschwindigkeit. Man brauchte sich nur den Schwung der Brigg anzusehen, ihre langgestreckte Form, ihre Schmalheit, die Höhe ihres Mastwerks, den Schnitt ihrer Segel, die bewundernswerte Leichtigkeit ihrer Takelung und die Fertigkeit, mit der die Gesamtheit ihrer Matrosen, von einem einzigen Willen gelenkt, die günstigste Stellung der weißen Fläche, die die Segel bildeten, ausnützte. Alles an diesem schlanken Geschöpf aus Holz, das so behende, so kundig wie ein Streitroß oder ein Raubvogel war, sprach von einem ungeheuren Machtgefühl. Die Mannschaft des Korsaren verhielt sich ganz still und war bereit, falls sie auf Widerstand stoßen sollte, das arme Handelsschiff zu versenken, das sich zu seinem Glück, wie ein vom Lehrer ertappter Schüler, nicht rührte. »Wir haben Kanonen!« rief der General und drückte die Hand des spanischen Kapitäns. Dieser warf dem alten Soldaten einen beherzten, doch hoffnungslosen Blick zu und sagte: »Und Männer?« Der Marquis musterte die Mannschaft der ›Sankt Ferdinand‹ und ihn überfiel ein Schauder. Die vier Kaufleute waren bleich und schlotterten; die Matrosen, die um einen der ihren herumstanden, schienen abzumachen, auf die ›Othello‹ überzutreten, und starrten mit neugierigem Verlangen zu dem Piratenschiff hinüber. Nur der Bootsmann, der Kapitän und der Marquis wechselten prüfende Blicke, die von Edelmut zeugten. »Ach, Kapitän Gomez, ich habe vor sechs Jahren mit todbetrübtem Herzen von meiner Heimat und meiner Familie Abschied genommen; muß ich ihnen nun in dem Augenblick entsagen, wo ich die Freude und das Glück ins Haus bringe?« Der General wandte sich ab, um eine Träne der Wut ins Meer fallen zu lassen, und sah dabei, wie der Steuermann auf den Korsaren zuschwamm. »Diesmal«, entgegnete der Kapitän, »werden Sie wahrscheinlich für immer von ihnen Abschied nehmen.«
Der Spanier war entsetzt von dem stumpfen Blick, den der Franzose auf ihn richtete. In diesem Augenblick lagen die Schiffe nahezu Bord an Bord; als der General das feindliche Fahrzeug in so unmittelbarer Nähe vor sich sah, glaubte er an die schlimme Weissagung des Kapitäns. Neben jeder Kanone standen drei Mann. Mit ihrem athletischen Körperbau, ihren eckigen Zügen, ihren nackten, nervigen Armen glichen sie Bronzestatuen. Der Tod hätte sie treffen können, ohne daß sie umgesunken wären. Die Matrosen, alle gut bewaffnet, tatkräftig, gewandt und kraftstrotzend, blieben unbeweglich. Ihre energischen Gesichter waren von der Sonne tief gebräunt, von schwerer Arbeit gehärtet. Ihre Augen funkelten wie Stechflammen und zeugten von kraftvollem Verstand und teuflischen Begierden. Die tiefe Stille, die auf dem von Menschen und Hüten schwarzen Deck herrschte, war ein Beweis für die unbeugsame Disziplin, unter die ein mächtiger Wille diese menschlichen Teufel beugte.
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