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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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schweigend einen fragenden, nahezu stumpfen Blick. Sie waren beinahe die einzigen, die von der Mannschaft der ›Sankt Ferdinand‹ übriggeblieben waren. Die sieben von den beiden Spionen unter den spanischen Seeleuten ausgewählten Matrosen hatten sich bereits wohlgemut in Peruaner verwandelt. »Was für verdammte Schurken!« rief plötzlich der General aus, der in gerechtem Zorn seinen Schmerz und alle Klugheit außer acht ließ. »Sie gehorchen der Notwendigkeit«, entgegnete Gomez kalt; »wenn Ihnen einer von diesen Männern nochmals begegnete, würden Sie ihm da nicht Ihren Degen in den Leib stoßen?« – »Kapitän«, sagte der Leutnant zum Spanier gewandt, »der Pariser hat von Ihnen sprechen hören. Er sagt, Sie sind der einzige Mensch, der die Meerengen in den Antillen und die brasilianischen Küsten genau kennt. Wollen Sie ...?« Der Kapitän unterbrach den Leutnant mit einem verächtlichen Ausruf und antwortete: »Ich werde als Seemann, als treuer Spanier und als Christ sterben ... Hörst du?« – »Ins Meer!« rief der junge Mann. Auf diesen Befehl ergriffen zwei Kanoniere Gomez. »Ihr seid Feiglinge!« rief der General und stellte sich vor die beiden Korsaren. »Erhitze dich nicht zu sehr, Alter! Vielleicht macht dein rotes Band auf unsern Kapitän Eindruck, ich schere mich den Teufel darum ... Wir werden gleich auch ein Wörtchen miteinander reden.« In diesem Augenblick verkündigte ein dumpfer Fall, in den sich kein Klageruf mischte, dem General, daß der tapfere Gomez als Seemann gestorben war. »Mein Vermögen oder den Tod!« schrie er in rasender Wut. »Ah! Ihr seid schlau«, sagte höhnisch der Korsar; »jetzt glaubt Ihr sicher etwas aus uns herauszuschlagen ...« Auf ein Zeichen des Leutnants eilten gleich zwei Matrosen herbei und versuchten dem Franzosen die Füße zu binden; aber dieser versetzte ihnen mit unvermuteter Kühnheit einen Schlag, riß dem Leutnant mit einer plötzlichen Bewegung den Säbel von der Seite und begann, als alter Kavalleriegeneral, der sein Handwerk verstand, diesen höchst gewandt zu handhaben. »Ach, ihr Räuber, ihr sollt einen alten Soldaten Napoleons nicht wie eine Auster ins Wasser werfen!« Ein paar Pistolenschüsse, die aus nächster Nähe auf den widerspenstigen Franzosen abgegeben wurden, erregten die Aufmerksamkeit des Parisers, der gerade das Herüberschaffen des Takelwerks von der ›Sankt Ferdinand‹, das er befohlen hatte, beaufsichtigte. Ungerührt packte er den mutigen General von hinten, hob ihn hoch, schleppte ihn zur Reling und schickte sich an, ihn wie einen unbrauchbaren Sparren ins Meer zu schleudern. In diesem Augenblick begegnete der General dem fahlen Auge des Räubers seiner Tochter. Der Vater und der Schwiegersohn erkannten sich auf der Stelle. Der Kapitän gab dem Schwung seiner Bewegung eine neue, der ursprünglichen entgegengesetzte Richtung, als sei der General federleicht, und stellte diesen, anstatt ihn ins Meer zu werfen, neben dem Hauptmast nieder. Ein Gemurmel entstand auf dem Oberdeck; doch der Korsar warf seinen Leuten einen einzigen Blick zu, und alsbald herrschte die tiefste Stille. »Es ist der Vater Hélènes«, sagte er mit heller, fester Stimme; »wehe dem, der ihm nicht Respekt zollt!« Ein freudiges Hurrarufen erscholl über das Deck und erhob sich zum Himmel wie ein Gebet, wie das Anstimmen eines ›Tedeum‹. Die Schiffsjungen schaukelten in den Tauen, die Matrosen warfen ihre Mützen in die Luft, die Kanoniere trampelten mit den Füßen, alle waren in Bewegung, heulten, pfiffen, wetterten. Der fanatische Ausbruch dieser Fröhlichkeit ließ den General unruhig und finster werden. Da er hinter diesem Freudenausbruch irgendein schreckliches Geheimnis witterte, war sein erster Ruf, als er die Sprache wiedererlangte: »Meine Tochter! Wo ist sie?« Der Kapitän heftete auf den General einen jener durchdringenden Blicke, die, ohne daß man die Ursache davon zu ergründen vermochte, selbst die furchtlosesten Gemüter aus der Fassung brachten. Er ließ den General zur großen Befriedigung der Matrosen, die sich freuten, daß sich die Macht ihres Herrn an allen Wesen bewahrte, verstummen, führte ihn an eine Treppe, hieß ihn hinabsteigen und stieß die Tür einer Kabine mit den Worten auf: »Da ist sie.«
    Dann verschwand er und ließ den alten General in einer Art Betäubung vor dem Anblick des Bildes zurück, das sich ihm darbot. Als die Tür des Gemachs so heftig aufgestoßen wurde, erhob sich Hélène von dem Diwan,

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