Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
dem Spiegel sah.
Entspannt atmete sie ein, legte beide Hände auf ihren flachen Leib und war
zufrieden damit, dass sie keinerlei Emotion in selbigem fühlte. Auf der Schauspielschule
hätte das eine glatte Eins auf die Dramaturgieprüfung gegeben, stellte sie
zufrieden schmunzelnd fest.
Als zwei Tage später der Shuttle mit einer Präzision
aufsetzte, die auf der Erde seit längerem nicht einmal mehr im normalen
Flugverkehr erreicht wurde, waren die Emotionen der Bewohner der Tsiolkovsky-Basis
gemischt. Shannon hatte ihre wenigen persönlichen Dinge in einer kleinen
Transportkiste verstaut und Martin hatte es sich nicht nehmen lassen, diese
persönlich zur Luftschleuse zu tragen. Um sicher zu gehen, wie er sagte. Nahezu
alle freuten sich, ihre Kommandantin, von der die wenigsten wussten, wie sie
tatsächlich einzuschätzen war, bald los zu werden. Was hatte es mit dem Gefühlsausbruch
nach Nicoles Tod, der so überhaupt nicht zu ihrem Charakter passen wollte und
so überraschend kam, wie ein Schneesturm an der Landestelle von Apollo 11, auf
sich? Wollte sie die anderen damit für sich einnehmen? Wollte sie ihnen
Anteilnahme vorspielen, wo es keine gab? Oder ließ sie womöglich ihren wahren Emotionen
freien Lauf? Rebecca konnte es nicht sagen, hätte aber im Zweifelsfall ihre
gesamte Habe auf die Unaufrichtigkeit ihrer Kommandantin gesetzt. Was Nicole
betraf, war es ohnehin nicht mehr von Bedeutung.
Am Tag zuvor war Rebecca noch mit Martin und den anderen das
Protokoll durchgegangen, das für Todesfälle auf dem Erdtrabanten niedergeschrieben
worden war. Bis ins kleinste Detail war darin festgelegt worden, wie mit
Leichen zu verfahren sei, die zur Erde zurückgebracht werden sollten, und wo
diese bis zum Eintreffen des nächsten Shuttles aufbewahrt werden sollten. Bisher
war dieses Protokoll jedoch noch nie zur Anwendung gekommen.
Auch an diesem Tag, an dem Nicole zur Erde zurückkehren
sollte, kam es nicht zur Anwendung. Martin, der, seit Shannon zu packen
begonnen hatte, ›Interimskommandant‹ war, sowie Rebecca und Erin hatten
entschieden, wie die sprichwörtlich letzte Reise ihrer Freundin und Kollegin
vom Mond vonstatten gehen sollte. Professionell drängten sie ihre Trauer und
ihre sentimentalen Erinnerungen beiseite, um Nicole einen würdigen Abschied zu
bereiten.
So trugen die drei mit Marks Unterstützung den Aluminiumsarg
mit bedächtigen Schritten zum Raumschiff. Dazu ließ Christopher über die
Intercom die Hymne des Planeten Erde erklingen. Als diese zu Ende war, knackte
es im Funkkanal. Christopher räusperte sich mehrfach, bevor er, gefasst und mit
angenehmer Stimme sagte: »Ich spreche sicher im Sinne aller hier auf Tsiolkovsky,
wenn ich sage: Nicole, wir danken dir für deine Kameradschaft, für deine Freundschaft,
dafür, dass du uns viele lange Mondnächte mit deinem Witz und deinem Lachen…«,
er räusperte sich noch einmal, schluckte. »… erträglicher gemacht hast.« Es
folgte eine Pause bevor er noch hinzufügte: »Wir haben fünf grün!«
Die vier hatten mittlerweile die Rampe des Shuttles
erreicht, als Christopher noch die Hymne ihres Heimatlandes spielte – die Großbritanniens.
Rebecca, die bis zum letzten
Atemzug bei ihrer Freundin gewesen war, kämpfte tapfer und unermüdlich dagegen
an, doch schließlich waren ihre Selbstbeherrschung aufgezehrt, ihre Kraftreserven
erschöpft und die Grenzen ihrer Professionalität weit überschritten; schutzlos
stand sie mit einem Mal ihren gewaltigen Emotionen gegenüber. Sie konnte nicht
mehr und sie wollte auch nicht mehr länger ihre Gefühle verbergen, sie auf Eis
legen und so tun, als wäre dies alltägliche Mondroutine. Tränen schossen über
ihr Gesicht und das Schluchzen war nicht nur in ihrem Helm zu hören. Als sie
den Sarg im Inneren des Raumtransporters abstellten, war es Zeit für den
Abschied. Rebecca kniete nieder und strich liebevoll mit ihrem Handschuh über
das kühle Metall, ihre Lippen bebten und sie schickte einen letzten Gruß und
ein warmherziges Danke in das metallene Behältnis, als befände sich dort noch
mehr als die seelenlose Hülle jener Frau, die ihr weit mehr als nur eine
Kollegin gewesen war. Zitternd richtete sie sich auf und wandte sich zu Martin
um, der am Fuß der Rampe auf sie wartete. Gebrechlich und müde wie eine
Achtzigjährige fühlte sie sich, als er sie auf dem Weg zurück zur Basis stützte.
LunEx hatte als Nachfolger für Shannon einen gewissen Vladimir
geschickt. Ein mehr als untypischer
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