Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
diese
noch in geringem Ausmaß zu unterstützen. Doch Nicole hatte in diesem Augenblick
das Gefühl, der Anzug wolle jede ihrer Bewegungen hemmen, sie an der Durchführung
ihrer Arbeit hindern und ihre Glieder noch schneller als gewöhnlich ermüden
lassen.
Mit dem Werkzeug in der Hand bewegte sie sich langsam auf
die Leistungseinheit zu. Es war ein, wie hätte es anders sein können, grauer
Quader, der an die kuppelförmige, energieproduzierende Einheit, ebenfalls in
dezentem Grau gehalten, angeschlossen war. Unter der Kuppel, die keine sechs
Meter im Durchmesser maß und gut zur Hälfte im Kraterboden versteckt war,
befand sich der Reaktor, der so sicher war wie kein anderer; so wollte es zumindest
das Handbuch wissen. An der Leistungseinheit öffnete sie die Abdeckklappe, unter
der sich die mechanische Verriegelung für die Tür zum Verteilerraum mit seinen Anschlüssen
und Kontrollpaneelen befand. Dabei handelte es sich um zwei kreisrunde
Schalter, die, um neunzig Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht, den Zugang
freigaben. Nahezu ohne jegliche Kraftanstrengung gelang es ihr, die Tür aus
einer Aluminiumwabenstruktur zu öffnen. »Licht«, sagte sie, um die Beleuchtung
anzumachen, doch es blieb dunkel. Sie räusperte sich. »Licht an«, sagte sie
noch ein zweites Mal. Diesmal hatte die Kontrolleinheit ihre Stimme erkannt und
ließ den Verteilerraum in kaltem, blauem Licht aufflammen. Hier am Kraftwerk
gab es keine Luftschleuse, da das Innere keine Atmosphäre enthielt. Sie tat
sich schwer, ihre Beine über die vierzig Zentimeter hohe Schwelle zu heben, um
ins Innere des winzigen Raumes zu gelangen.
Rebecca hörte Keuchen in ihren Ohren. Das Mikrofon und die
Sendeeinheit im Raumanzug schalteten sich nur ein, wenn der Pegel des
Gesprochenen eine gewisse Dezibelschwelle überschritt. Das normale Atmen
registrierten sie nicht.
Nicole stützte sich mit der linken Hand an der Wand ab,
während sie mit ihrer rechten Befehle in das Display hämmerte. Grafiken
erschienen, verschwanden wieder. Gleich darauf klopfte sie neue Kommandos in
die Einheit. Lange und interessiert betrachtete sie die angezeigte Information.
Dann begann sie mit ihrem Mehrzweck-Tool die Abdeckungen an den
Energieübertragungseinheiten abzuschrauben. Die Schrauben fielen auf den Boden.
Sie waren ihr entglitten, durch ihre zarten Handschuhe geglitten und ihre
Reflexe waren nicht schnell genug gewesen, um dies zu verhindern. Egal, dachte
sie. Wenn erst die Konnektoren drauf sitzen, gibt es für die Schrauben ohnehin
keine Verwendung mehr. Sie ließ den ersten etwa menschenkopfgroßen Konnektor in
seinen Sockel gleiten und einrasten. Ein grünes Licht leuchtet rechts neben dem
Anschluss auf. Ein verhaltenes Schmunzeln lief über ihr Gesicht. Konnektor zwei
sträubte sich anfangs und ließ sich partout nicht in den Sockel schieben. Erst
als Nicole mehrmals mit ihrem Werkzeug darauf schlug und sich anschließend noch
mit ihrem gesamten Körpergewicht dagegen stemmte, ließ sich das widerspenstige
Ding dazu überreden, mit einem jähen Ruck doch einzurasten. Ein weiters
Lämpchen leuchtete grün auf. Sie ging auf die gegenüberliegende Seite zum
Display, überprüfte den Status der Verbindungen und klopfte mit ihren
Fingerspitzen ungelenk auf den Anzeigeschirm. Bald leuchtete neben jeder
Verbindung ein zweites grünes Lämpchen. Die elektrischen Kontakte waren
erfolgreich verriegelt. Müde lehnte sich Nicole mit dem Rücken gegen das Paneel.
Keuchen und Schlürfen dröhnte in Rebeccas Helm.
Gierig sog Nicole die Luft ein und trank von der Flüssigkeit,
die ihr Anzug bereitstellte. »Wir haben fünf grün!«, sagte sie schließlich.
»Roger!«, kam es von der Basis.
»Nimm dir Zeit«, sagte Rebecca. »Wir haben alle Zeit der
Welt.«
Alle Zeit der Welt, dachte Nicole. Das ist in diesem
Raumanzug genau zehn Stunden, zwölf, wenn man die Reserve mitrechnete.
»Wie weit sind wir denn?«, wollte die Ärztin wissen.
»Ich bin hier schon beinahe zur
Hälfte fertig«, meinte Nicole ohne diesen sarkastischen Unterton, der schon
beinahe ein Markenzeichen von ihr war, in das ›ich‹ gelegt zu haben. Sie nahm
die Checkliste, las noch einmal im Manual nach, ehe sie die Parameter für die
Leistungsübertragung konfigurierte. Es waren beinahe vierhundert Parameter, und
auch wenn sie die meisten davon auf ihrem Default-Wert belassen würde, so
musste sie doch jeden einzelnen überprüfen und mit einem ›engage‹ bestätigen. Etwas
über hundertzwanzig Minuten
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