Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
interessieren,
aber deshalb bist du nicht schlechter als die anderen. Folge dem, was dich
interessiert und verfolge es mit deiner gesamten Energie und Aufmerksamkeit.
Dann wird sich der Erfolg ganz von selbst einstellen.« Er strich über ihr Haar.
Erneutes Nicken.
Ein halbes Jahr später schloss Karen ihr erstes Semester an
der Privatschule ab. John fragte sich, ob seine Frau nicht doch recht gehabt
hatte. Hatte es noch irgendeinen Sinn, seine Tochter weiter zu fördern und sein
so mühsam an den Wochenenden verdientes Geld in ihre Erziehung und Ausbildung
zu investieren? Er wollte ihr noch eineinhalb Jahre geben, dann musste eine
Entscheidung fallen.
Irgendwann, während der nächsten acht Monate, trat jedoch ein
Wandel ein. Langsam und zäh, dass er zu Beginn kaum wahrnehmbar war. Womit es
letztendlich zu tun hatte, konnte er nicht sagen. War es die beginnende
Pubertät, Karens Fantasterein über Luft- und Raumfahrt oder die Tatsache, dass
sie Freundschaft mit einem Mädchen drei Häuser weiter geschlossen hatte, die
fasziniert von Karen und ihren Geschichten war.
Wie von Geisterhand wurde hier aus einer Vier eine Drei,
dort aus einem Befriedigend ein Gut. Im Abschlusszeugnis ihres College hatten
sich auch noch mehr als die Hälfte Einser geschlichen, von denen nicht einmal
Karen wusste, wie diese zu erklären waren.
Ein paar Tage nach ihrem Abschluss sah John im Lokalblatt,
dass seine Tochter als zweitbeste des Jahrgangs abgeschnitten hatte. Er hatte
ihr zwar schon gratuliert, doch aufgrund dieses Umstandes sah er sich veranlasst,
es noch ein weiters Mal zu tun. »Warum sagst du deinem alten Vater so etwas
Erfreuliches nicht? Wenn es nicht in der Zeitung stünde, wüsste ich es gar
nicht«, feixte er.
Sie aber, die gutaussehende, charmante Achtzehnjährige,
meinte »Es ändert doch nichts an der Tatsache.«
»Das nicht, aber richtig bedeutsam ist es erst, wenn es in
den Medien gebracht wird. Wenn es die Medien nicht wissen, ist es auch nicht
passiert – klar?«
6
San
Francisco, 2065
Schummrig hing ein Nebel aus Alkohol,
Zigarettenrauch und Schweiß über den Köpfen. Schmerzhaft und unbarmherzig dröhnte
ein Oldie aus den Zwanzigdreißigern aus der Musikanlage. An ihrem Tisch waren
alle aufgesprungen, stampften den packenden Rhythmus in den Boden und verrenkten
ihre Körper in wilden Zuckungen zu einem Song, der herausgekommen war, als sie
vielleicht gerade einmal vier oder fünf gewesen waren. Karen lachte, konnte
sich nicht mehr beruhigen, als sie ihren Freunden beim Tanzen zusah. Würde sie
selbst von der Ferne aus betrachtet ein ebenso befremdliches Bild abgeben, als
hätte man sie geradewegs mit der städtischen Stromversorgung kurzgeschlossen?
»Noch eine Runde«, rief sie an die Bar, als das Hämmern kurz
geendet hatte. Dabei hatte sie ihren Zeigefinger in die Höhe gehalten und einen
Kreis beschrieben.
Der Barkeeper nickte. Seine Antwort hätte sie auf diese
Entfernung und bei dem Krach ohnehin nicht verstanden.
»Hast du schon eine Idee, wie es jetzt weitergeht?«, fragte
Jim.
»Weiter?« Sie lachte und der Schalk hatte sie fest im Griff.
»Ich hab mir gedacht, ich trinke jetzt noch in Ruhe mein Bier, bevor ich mich
auf den Heimweg mache.« Sie musste erneut lachen. Die vier Bier, oder waren es
fünf gewesen, hatten bereits Spuren auf ihrem Gemüt hinterlassen.
»Du weißt, was ich meine«, grinste Jim.
»So? Weiß ich das?« Sie beugte sich ganz nah zu ihm, küsste
ihn erst auf die Wange, dann auf die Nase.
Er strahlte.
»Weißt du, dass du eine unheimlich entzückende Nase hast?«
»Das hab ich, glaube ich, schon mal gehört«, sagte er. »Ich
denke, es kam von dir.«
»Dann muss es also stimmen.«
»Muss stimmen. Muss!« Er kratzte seine feuchte Nase, während
der Kellner umständlich die Getränke abstellte, damit sie diese nicht gleich
durch ihr fahriges Gerede mit den Armen umstieß.
»Ich habe übermorgen den Termin für das Gespräch. Von dem
hängt es ab, ob ich die nächsten vier Jahre etwas Spannendes, Interessantes und
Abenteuerliches erlebe, oder ob ich weiterhin in meinem Büro sitze, technische
Planungen durchführe und Projekte leite, während andere die Abenteuer erleben,
von denen ich schon mein Leben lang geträumt hab.«
»Glaubst du nicht, dass du möglicherweise ein klein wenig
übertreibst? Kein Mensch, den ich kenne, hat sein ganzes Leben von ein und
derselben Sache geträumt.«
»Ich übertreibe gar nicht; es ist doch nur so eine Redensart.«
Sie lachte
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