Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
Lächeln
auf. »Du weißt, dass die Anforderungen an die Jungen heutzutage rasanter
steigen, als die Aktienkurse zu fallen imstande sind. Für eine gute und vor
allem zukunftsträchtige Ausbildung ist eine Privatschule wie diese unabdingbar.«
»Und ich sag dir, das ist es nicht wert. Sie packt das
nicht. Karen ist einfach zu dumm dafür.«
Anspannung zeigte sich in Johns Gesicht. »Nur wenn sie nach
dir kommt, Isidora. Aber ihre Interessen liegen ja ganz woanders. Sie wird
nicht nach dir kommen.«
»Hättest du wohl gerne!«, fauchte sie.
»In dieser Sache bin ich mir sicher, sonst würde ich nicht
all das auf mich nehmen.«
Karen saß an ihrem Tisch. Tränen klopften auf die glänzende
Oberfläche ihres Tablets, in das sie eigentlich ihre Hausaufgaben tippten hätte
sollen.
Sie war zwar schon neun, doch dass ihre Mutter so über sie dachte,
das brachte ihr junges Leben rasch an die Grenze des ohnehin noch labilen
Gleichgewichts.
Lustlos und demotiviert fuhr sie täglich in die Schule. Der
Sinn dieser Aktion verschloss sich ihrem kaum genutzten Intellekt. Wozu das
alles, wenn es ja doch zu nichts führte, wenn sie es ja doch nicht packte. Jede
ihrer schulischen Leistungen schien den Gedanken ihrer Mutter zu gehorchen. Gab
es anfangs noch einzelne Gut, die aus der großen Masse der Befriedigend und
Genügend herausstachen, existierten bald nur noch Letztere. Das
Abschlusszeugnis der Primary School war ein Desaster. John beschloss, mit seiner
Tochter zu reden.
»Karen, was ist los mit dir?«
»Was soll schon los sein?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Die Schule?«
»Ja, die Schule.«
»Es läuft derzeit nicht so gut.«
»Also ist dir das auch aufgefallen.« Gleich darauf ärgerte
es ihn, diese zynische Bemerkung gemacht zu haben.
Karen sah in traurig an. »Ich kann nicht anders, Dad.«
»Was heißt, du kannst nicht anders?«
»Es geht einfach nicht. Egal was immer ich tue und wie sehr
ich mich anstrenge, es geht einfach nicht.« Ihre Augen sahen aus, als würde
jeden Augenblick ein Meer aus Tränen über die Ufer treten und einem Tsunami
gleich alles überfluten, was sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand.
John sah sie lange an. Nach einer Minute wurde sie nervös
und begann auf ihrem Sessel herumzuwetzen. Ihre Augen wanderten unruhig im
Zimmer umher, als suchten sie einen Punkt, an dem sie sich festhalten konnten.
»Und, warum geht es einfach nicht?«, fragte er so ruhig, als würde er nach dem
abendlichen Unterhaltungsprogramm fragen.
»Ich … ich …«, begann sie schüchtern.
»Karen, du warst immer schon mein Mädchen und du weißt, dass
du mir alles sagen kannst.«
Sie nickte.
»Auch die Dinge, die deine Mutter nicht zu erfahren braucht.«
John schmunzelte.
»Ich weiß, Dad.« Sie zog eine Schnute.
»Also, was ist dann noch? Raus mit der Sprache? Oder
betrifft es etwa mich?«
Karen gluckste verlegen. »Auch«, sagte sie dann.
»Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich war immer für
dich da. Erinnerst du dich? Damals, als die Bremsen deines Rollers versagten
und ich dich noch im letzten Augenblick aufgefangen habe, bevor du den
Steilhang hinuntergerasselt wärst?«
Sie nickte und ihr Gesicht hellte sich etwas auf.
»Sag mir, worum es geht, Kleines?«
»Ich …«, begann sie erneut, »ich habe einmal dich und Mama
gehört. Du sagtest, du wirst mehr arbeiten, um meine Schule zu bezahlen, sie
sagte, ich wäre … ich wäre … zu dumm dafür.« Sintflutartig liefen ihr die
Tränen über die Wangen.
John sah sie ernst an. Er griff nach Karens Hand, fühlte
ihre verletzbare Haut, ihre zarten Finger, ihre sensible Wärme. Er fühlte aber
auch ihre Angst und Unsicherheit, die ihren Körper zu beherrschen schien. »Hör
mir zu«, sagte er mit einem sanften Lächeln. »Erstens hat deine Mutter das
nicht so gemeint, Karen, und zweitens …«, er überlegte kurz, »brauchst du in diesem
Fall nicht auf sie zu hören.«
»Aber …« Durch einen Vorhang aus Tränen sah sie zu ihm auf.
»Ich weiß, ich weiß, Karen. Dieser Fall ist eine Ausnahme,
verstehst du. Ich sage nicht, dass du auf deine Mutter nicht mehr zu hören
brauchst, ich sage nur, dass du in diesem Fall nicht auf sie hören sollst.«
Karen sah ihn erstaunt an.
»Ist das klar für dich?«
Ein zaghaftes Nicken bestätigte seine Aussage. In ihrer Hose
kramte sie nach einem Taschentuch.
»Ich sage dir eines, Karen. Ich weiß, dass dich viele Dinge
nicht so interessieren, wie sie andere Mädchen in deinem Alter
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