Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
ihn an. »Gut, sagen wir, seit fünfzehn Jahren geistert mir die Sache
im Kopf herum, seit ich bei meinem Studium diese Vorlesung über Spaceflight-Engineering
besuchte. Bist du damit zufrieden?« Sie verdrehte ihre Augen nach oben und nahm
einen Schluck von der köstlichen, bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
»Fünfzehn Jahre – so alt bist du doch noch gar nicht.« Er
lachte.
»Ja, ja. Fang nur wieder damit an.«
Er grinste breit.
»Das ist kein Kompliment, Jim. Wenn du mir schon sagen
willst, dass ich jünger aussehe, als ich tatsächlich bin, musst du zwanzig oder
zweiundzwanzig sagen.«
»Zwanzig oder zweiundzwanzig«, sagte Jim und trank zügig aus
seinem Glas.
»Du wirst es wohl nie lernen.«
Der Schelm lachte aus seinen Augen. »Wie wäre es, wenn du
mir gleich heute Nacht noch ein paar Nachhilfestunden gibst, bevor ich ein
hoffnungsloser Fall werde, rettungslos dazu verdammt, bis ans Ende meiner Tage
schönen Frauen abscheuliche Komplimente zu machen.« Er beugte sich zu ihr und
versuchte sein Gesicht in ihr Dekollete zu graben.
»Jim, nicht!« Mit beiden Händen brachte sie ihren Verehrer
auf jene minimale Distanz, dass sie zumindest sein Gesicht wieder sehen konnte.
»Bei dem, was du möchtest, brauchst du außerdem keine Nachhilfe.«
»Woher weißt du das so genau? Funktioniert dein Gedächtnis
trotz der vielen Biere noch so gut?«
Karen sah entzückend aus, als sich ihre Wangen röter färbten
als ihr Rouge. »Du bist wirklich unmöglich.«
Beide lachten.
Schon etwas unsicher auf den Beinen stakste sie zum
Taxistand unweit von Pier 39. Müde, doch gutgelaunt, ließ sie sich in das
erstbeste Taxi fallen. Vierzig Minuten später konnte sie sich nicht mehr daran
erinnern, was sie dem Fahrer gesagt hatte. Dramatisch falsch mochte es jedenfalls
nicht gewesen sein, als sie knapp nach halb vier Uhr morgens vor ihrem Haus an
der San Francisco Bay ausstieg.
Was für ein Glück, dass ich nur meine Hand zum Öffnen der
Tür brauche, dachte sie, und nicht erst mühsam – so wie es früher der Fall war
– einen Schlüssel aus den endlosen Weiten der Handtasche kramen und dann noch in
das dazupassende Loch einfädeln muss. Sie schmunzelte und drückte ihre Hand auf
den Scanner.
Die Tür sprang auf. Mit ihren femininen Boots, wie frau sie in
diesem Jahr zum Fahren mit den Anti-Schwerkraft-Bikes und Scootern trug, die
ein unverzichtbares Muss beim Shopping waren und deren Fehlen im Nachtleben
einem Fauxpas ersten Ranges gleichkam, stiefelte sie ins Haus.
»Licht«, sagte sie, doch die Automatik schien weder den
Rhythmus ihrer Schritte noch den ihrer Stimme erkannt zu haben. Wen würde es
wundern, bei dem torkelnden Gang und der alkoholgetränkten Stimme, amüsierte
sie sich. Karen schleuderte ihre Tasche und ihre Jacke auf die Ablage, von wo aus
beides sofort zu Boden fiel. Dann streifte sie die Stiefel ab. Jeder Voyeur wäre
entzückt von ihrer ansprechenden Erscheinung gewesen, als sie sich breitbeinig,
wie um sich zusätzlichen Respekt zu verschaffen, in den Durchgang zum Wohnraum
stellte, die Hände in die Hüften stemmte und energisch sagte: »Licht, verdammt
noch mal. Licht!« Die rotbraunen Locken tanzten dabei wild um ihren Kopf. Doch
nichts rührte sich. Sie wollte gerade zum Schaltpaneel gehen, um das Licht von
Hand einzuschalten, als sie von kräftigen Händen gepackt wurde, die ihre Arme hinter
ihren Rücken zerrten.
»Bist du das, Gwen?«, sagte sie erheitert. »Lass den Mist, Gwen!
Gwen?«
Eine Hand tauchte vor ihrem
Gesicht auf und zwang eine Pille in ihren Mund. Sie wehrte sich mit all ihrer
Kraft, die sie nach den unzähligen Bieren noch aufbringen konnte, um die Kapsel
nicht zu verschlucken. Doch dafür, wie ihr gleich klar wurde, war diese gar
nicht gedacht. Plötzlich begann diese in ihrem Mund zu wachsen, größer und
größer zu werden, bis sie ihre Mundhöhle komplett ausfüllte. Sie versuchte zu
schreien, und die Kapsel, die zu einem Knebel mutiert war, auszuspucken; doch
die war bereits sicher hinter ihren Zähnen verankert. Gleich darauf spürte sie,
wie stählerne Kälte ihre Hand- und Fußgelenke umschloss. Das Metall zog sich
enger und enger um Arme und Beine, bis sie sich nicht mehr rühren konnte. Dann
spürte sie einen Ruck, und die Fesseln gaben um wenige Millimeter nach. Aus
großen Augen starrte sie auf den dunklen Schatten vor ihr, der noch eine Spur
schwärzer zu sein schien als das Schwarz der Umgebung.
Silbrig flutete das Licht durch die Scheiben, als sie
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