Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
alle stellen, lautet: Ist die
Frau, die als aussichtsreichste Kandidatin gilt, als erste ihren Fuß auf den
Mars zu setzen, womöglich eine Mörderin?« Das Bild von Shannon Parker wurde
eingeblendet und schien – drohendes Unheil versprechend – über der Mondbasis zu
schweben.
New
York
Die Stimmung hätte kaum explosiver sein
können, als George Low um 0500 UTC vor die Vertreter der Weltpresse trat. Als
er scharf die Luft einsog, klang es durch das Mikrofon, als wolle er dem ganzen
Saal den Sauerstoff entziehen. Dann senkte sich eine drückende Stille auf das Auditorium
nieder.
»Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben sich alle hierher
bemüht, um von mir den Namen jener Person zu erfahren, die die Mars One Mission
leiten wird. Sie kennen – so nehme ich einmal an – auch alle die Schlagzeilen
von heute Früh, wonach eine Bewerberin sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert
sieht.« Er blickte in das Licht netzhautverbrennender Scheinwerfer und wusste,
dass ihn dahinter verborgen tausende Augenpaare anstierten. »Die Kommission hat
sich angesichts der jüngsten Entwicklungen dazu durchgerungen, die Bekanntgabe
des Ergebnisses des Hearings bis auf weiteres zu vertagen.«
Es war, als hätte man eine dieser altertümlichen Atombomben
mitten in diesem Hexenkessel gezündet. Tausende Stimmen riefen durcheinander,
Buhrufe hallten, Geschrei …
»Ich danke Ihnen«, sagte er und, als er sich abwandte und
das Podium verließ, hörte er noch die Stimme eines Journalisten rufen: »Heißt
das, dass Ms Shannon Parker die Spitzenkandidatin gewesen ist? Mr Low? Heißt es
das?«
Low beschleunigte seinen
Schritt.
San
Francisco Bay
Sie beschloss ihr Leben nicht als
verloren anzusehen, nicht klein bei zu geben, nicht in die Trübsinnigkeit hinabzustürzen,
nicht dem maßlosen Alkoholkonsum zu verfallen und schon gar nicht dem Schicksal
diesen Sieg über sie zu gönnen. Mit diesen guten Vorsätzen stellte sie die
Flasche Rotwein wieder zurück in den Klimaschrank und entschied, sich
stattdessen einen grünen Tee zu machen, als die sonore, sympathische
Männerstimme ihres Systems einen eingehenden Anruf meldete – Teilnehmerkennung
nicht bekannt.
»McDonnel.« Gleich darauf erschien das Gesicht von George
Low auf dem Schirm.
»Guten Tag, Ms McDonnel, es freut mich, dass es Ihnen ganz
offensichtlich gut geht. Die Kommission und meine Wenigkeit haben uns schon
Sorgen gemacht, weil Sie Ihren Termin für das Hearing nicht wahrgenommen haben.«
»Es geht mir soweit gut. Ich hätte das Hearing auch um
nichts in der Welt versäumt, Mr Low, aber mir waren leider zu diesem Zeitpunkt
die Hände gebunden«, sagte sie traurig und bemerkte erst im Nachhinein, wie
treffend die Erklärung war.
»Wir waren natürlich etwas … wie soll ich sagen, enttäuscht,
dass eine unserer aussichtsreichsten Bewerberinnen nicht erschien. Ich hoffe, Sie
haben nun wieder etwas mehr Bewegungsfreiheit in ihrem Terminkalender, denn wir
möchten Sie gerne noch einmal zu einer Vorsprache einladen.« Low sah mit einem
amikalen Schmunzeln auf Karen hinab. Sein nach hinten gekämmtes Haar glänzte
silbergrau.
Karen entglitt ihre Teetasse, die laut splitternd am Boden
zerschellte; ungläubig starrte sie auf Tausende von Scherben, dann auf Millionen
von Pixel, die das Konterfei von George Low so lebensecht darstellten. Sie
brachte kein Wort heraus.
»Es tut mit leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte. Das
war wirklich nicht meine Absicht, Ms McDonnel. Wenn Sie es vorziehen, lieber
nicht zum Hearing zu erscheinen, ist das selbstverständlich in Ordnung.«
Immer noch sah Karen ungläubig in Lows Augen, suchte nach
Anzeichen, die ihr verrieten, ob es sich möglicherweise um einen Scherz
handelte und er jeden Augenblick laut schallend loslachen würde. Doch sie fand nichts
dergleichen, keinen doppelten Boden, keine Hintergedanken. »Ich … ich …«, sie
krampfte ihre Hände zu Fäusten zusammen, dass sich sogar ihre kurzen Nägel noch
ins Fleisch ihrer Handflächen bohrten, »natürlich nehme ich diesen Termin wahr,
Mr Low … sehr gerne«, stammelte sie und war im nächsten Augenblick wütend, weil
sie nicht einmal einen zusammenhängenden Satz herausbrachte.
»Das freut mich sehr und ich bin sicher, die übrigen
Mitglieder der Kommission werden diese Nachricht mit derselben Freude aufnehmen,
wie ich das tue. Den genauen Termin schicke ich Ihnen noch zu. Ich danke Ihnen
vorläufig ganz herzlich«, sagte er abschließend, nicht ohne sein
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