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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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liefen über ihr Gesicht und ein salziger
Fleck hatte sich bereits auf der Couch darunter gebildet. Sie wischte ihre
Tränen fort, und erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass ihre Arme
nicht mehr auf dem Rücken gefesselt waren. Sie sah auf die Stelle, wo ihre
Beine durch ein massives Metallband umschlossen gewesen waren. Die stählerne
Fessel um ihre Beine war verschwunden, ebenso Eric-173 und Alex-028.
    »Licht«, sagte sie und noch bevor das Wort zur Gänze
verhallt war, leuchtete ihr Wohnraum in warmer Atmosphäre. Orange und rot strahlte
das Marsgemälde oberhalb des Sofas. Es war knapp nach Mitternacht, so wollte es
zumindest die Zeitanzeige wissen, und in ihrem Kopf hatte sie noch immer dieses
Hämmern, als wären dreihundert Roboter damit beschäftigt in kürzester Zeit
einen neuen Wohnsilo aus der Erde zu stampfen. Langsam streifte sie die Klamotten
von ihrem Körper, in denen sie die letzen achtundvierzig Stunden verbringen
hatte müssen, ging unter die Dusche und schrubbte jeden Quadratzentimeter ihres
Körpers, als gelänge es ihr damit, auch die Ereignisse der letzten zwei Tage zu
entfernen. Anschließend ging sie in die Küche, entkorkte eine Flasche Rotwein
und legte mehrere Scheiben Brot in den Toaster. Dazu nahm sie Prosciutto di San
Daniele und eine Honigmelone. Nährstoffe hin, Vitamine her, eine richtige
Mahlzeit bestand doch aus so viel mehr (als nur aus diesen) und schließlich aß
man ja auch – was ein Facharzt nicht unbedingt bestätigen würde – mit den
Augen. Spritzig und fruchtig stand auf dem Etikett des Beaujolais, doch an
ihrem Gaumen schmeckte er nur langweilig und schal. Genüsslich aß sie von dem
Schinken, der noch von einem leibhaftigen, realen Tier stammte – was sich nicht
nur im Geschmack, sondern auch im Preis niederschlug. Es war nicht eine dieser
billigen Imitationen, irgendwo von unterbezahlten Arbeitern ohne
Kollektivvertrag und Gewerkschaft hergestellt, gezüchtet unter unappetitlichen
Bedingungen aus äußerst zweifelhaften Rohstoffen. Doch der Geschmack, den sie
von früher her kannte und den sie so liebte, wollte sich an diesem Tag nicht
einstellen. Waren ihre Geschmacksnerven tot? Betäubt? Hoffentlich war das nur
eine vorübergehende Erscheinung, ging es Karen durch den Kopf. Entspannt trank
sie von dem Wein, der ihr noch nie so neutral und geschmacklos erschienen war, wie
gerade zu diesem Zeitpunkt. Nach dem zweiten Glas fühlte sie sich müde. Sie legte
den Kopf in ihre Hände und hatte das beklemmende Gefühl, dass diese ihre
schwere Last kaum zu halten vermochten. Sie spürte die Wirkung des Alkohols,
die vermutlich durch die Mittel, die sie noch immer in ihrem Körper wusste,
dramatisch verstärkt wurde. Sentimental waren die Gedanken, die sich in ihrem
Kopf zu wilden Knäueln zusammenballten. Was sollte sie nun tun? War ihr Leben gelaufen,
vorbei? Oder doch nur ihr Mars-Abenteuer? Sie versuchte logisch zu denken, doch
es gelang ihr nicht. Erneut begannen Tränen ihre Wangen hinabzulaufen. Langsam,
als würde ihr jeder Schritt unbeschreibliche Qualen verursachen, ging sie in
ihren Schlafraum. Sie zog ihren Morgenmantel aus, ließ ihn dort liegen, wo er
hinfiel und kroch ins Bett. »Aus«, sagte sie und ihre Stimme klang als hätte
das Wort nicht nur für die Beleuchtung seine Richtigkeit.
    Am nächsten Morgen versuchte
sie, nachdem sie bei der Sicherheitsverwaltung eine Anzeige gegen ihre
Kidnapper eingebracht hatte, ihre miese Laune in einem durch Kaffee ausgelösten
Adrenalinstoß zu ertränken und mit einem deftigen Frühstück zu betäuben. Der
Erfolg war bescheiden. Wäre sie ehrlich zu sich gewesen, gab es ihn gar nicht.
Ihr Geschmacksinn, hatte sich – sehr zu ihrer Freude –soweit erholt, dass sie
zumindest wieder in der Lage war, einzelne Grundnahrungsmittel unterscheiden zu
können. Die Eier mit Schinken hatte sie mit großem Appetit verdrückt und sie
war gerade im Begriff, sich über die Pancakes herzumachen, als der Infoscreen
im Wohnraum zum Leben erwachte. Die Gabel fiel ihr aus der Hand, ihre Rechte
tastete nach der Tasse mit dem Kaffee und, wie um sich selbst zu beweisen, dass
es keine Einbildung war, nahm sie einen kräftigen Schluck und spürte gleich
darauf die heiße Flüssigkeit ihre Speiseröhre hinablaufen.
    New
York
    Gedämpft strahlten die Lichter der
Stadt durch die Terrassentür, die die elektronischen Vorhänge noch mal um
dreißig Prozent abschwächten. Hundertfünfzig Etagen tiefer dröhnte der
notorische Lärm des

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