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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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Verkehrs, welcher beharrlich danach trachtete, jedwedes
andere Geräusch bereits im Ansatz zu ersticken. Die Stadt, die niemals schlief,
schien auch in dieser Nacht nicht daran zu denken, es zu tun. Vornehm und
unschuldig wirkte die Dachterrassenwohnung mit den langweilig weißen Wänden.
Auch den großformatigen Bildern, gelang es nicht, Farbe in die weiße Einöde zu
bringen. Viele davon zeigten den Mond in seiner Gesamtheit, andere Mare
Tranquillitatis, andere den Tsiolkovsky-Krater, wieder andere die dort errichtete
Basis. Von Hellgrau bis ins Schwarz reichten die Schattierungen der
Trostlosigkeit, in denen auch der aufmerksamste Betrachter kein Tüpfelchen
Farbe entdecken konnte. War es Langeweile oder Antriebslosigkeit, oder einfach
nur die Tatsache, dass sie an diesem Abend kein Date hatte; sie wusste es
nicht. Nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet rekelte sie sich auf ihrem Sofa und
ließ die neuesten Nachrichten an ihrer Wahrnehmung vorbeiziehen. Was sie sah,
mutete wie eine Wiederholung an, nur die Schauplätze und Personen wechselten
ständig in diesem Kaleidoskop aus Hunger und Krieg, Armut und Krankheit,
Obdachlosigkeit und Überbevölkerung. Sie sah Namenlose auf Regierungsbänken
sitzen, deren Körper kaum mehr in der Lage waren, das eigene Gewicht zu tragen,
sie sah Empfänge und Bankette, wo Tische unter der Last der Speisen beinahe
zusammenbrachen, sie sah Villen und Herrenhäuser mit elektrischen Zäunen und lasergesteuerten
Selbstschussanlagen gesichert, um ein paar Quadratmeter Paradies vor den Fängen
des Pöbels zu schützen. Sie sah aber auch Menschen, die jeden Tag stundenlange
Märsche auf sich nehmen mussten, um an ein paar Schlucke trinkbaren Wassers –
von rein sprach niemand mehr – zu gelangen; wenn sie innerhalb von ein paar
Tagen keines fanden, dann lieferten die Agenturen Bilder dieser ausgemergelten,
halb verhungerten und letztendlich verdursteten Gestalten mitten ins Wohnzimmer
– wie unappetitlich. Shannon löschte angewidert ihren Infoscreen und ging in
die Küche. Zehn Minuten ließ sie das entkeimte und mehrfach filtrierte Wasser
aus der Leitung laufen, bis es die Temperatur hatte, die ihr angenehm
erfrischend erschien. Gierig trank sie das Glas aus, um sich gleich darauf
einen französischen Rotwein zu dekantieren. Gerade als der letzte Tropfen
Weines in den Dekanter gelaufen war, kam ein Anruf über ihre private Frequenz. »Eingehender
Anruf! George Low«, sagte eine dezente Frauenstimme.
    Shannons Augen spiegelten etwas Überraschung wider, als sie
das Gespräch annahm. »Hallo George!«, sagte sie, »was kann ich für dich tun?«
Ihre Augen funkelten.
    »Hallo, meine Schöne«, sagte er und grinste von dem
großformatigen Screen direkt in ihr Dekollete. »Ich hab mir gedacht, ich melde
mich einmal bei dir, frage, wie es so geht und ob du schon nervös bist, da ja
morgen die Kommission offiziell ihre Entscheidung bekanntgeben wird.« Sein
Gesicht strahlte in väterlichem Wohlwollen.
    Shannons Versuch, ein schüchternes Lächeln aufzusetzen,
misslang. Ihre Physiognomie wirkte kühl wie weißer Marmor und drückte
Überheblichkeit und Arroganz aus. »Ich hoffe doch sehr, mein lieber George, dass
ich keinerlei Grund habe aufgeregt zu sein wegen morgen. Du bist der Leiter der
Kommission und mein Vertrauen in dich war noch immer gerechtfertigt – bisher
jedenfalls. Und ich denke …«
    »Lass dich von mir nicht auf den Arm nehmen, Shannon, wer
Kommandantin des ersten Fluges zum Mars wird, steht schon lange nicht mehr zur
Debatte. Ich brauchte nicht einmal meinen Einfluss und meine Überredungskünste
als Vorsitzender zu bemühen, um die Kommission für dich zu gewinnen. Das hast
du bei deinem Hearing ganz allein zu Wege gebracht. – Ich wollte nur der erste
sein, der dir zu deinem neuen Kommando gratuliert.«
    »Danke George, ich weiß das zu schätzen«, sagte sie ohne
eine Ahnung zu haben, wie sie sich gefühlt hätte, wenn sie es tatsächlich zu schätzen
gewusst hätte. Lasziv schüttelte sie ihr Haar aus dem Gesicht und hielt ihre
Brüste offenherzig in die Kamera des Screens.
    »Und nun wollte ich dich fragen, ob du nicht Lust hast, die
Angelegenheit bei einer kleinen gemütlichen Feier in meinem Haus zu begießen.«
    Sie hatte das Gefühl, dass seine Augen bei dem Wort ›Lust‹
erwartungsvoll aufleuchteten. »Ausgesprochen verlockend, George. Kannst du mir
vielleicht ein Taxi vorbeischicken, aber erst in einer Stunde. Ich muss mich
vorher noch etwas frisch machen.«

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