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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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das Startfenster
verpassen, würde sich die nächste Möglichkeit erst wieder in sechsundzwanzig
Monaten ergeben. Aber das wissen Sie sicher alle. Nur mit dem Unterschied, dass
es in diesem Fall nicht, wie in den alten Nasa-Zeiten, dem Steuerzahler ein
Vermögen kosten wird.« Sheryl lächelte.
    Erdorbit,
Mai 2067
    Fünfzehn Monate und drei Tage später
saß Karen mit ihrer Crew im Shuttle, das sie nach Atlantica 3 bringen sollte.
Trotz der 3 G Beschleunigung auf ihrer Brust fühlte sie sich frei und erleichtert,
als der Raumgleiter kurz davor war, eine niedrige Erdumlaufbahn zu erreichen, um
die Verfolgung des Raumdocks aufzunehmen. Das Bangen, ob sie das Training
zeitgerecht abschließen würden können, war vorüber, der Medienrummel, die
Pressetermine, die unzähligen Live-Auftritte waren Geschichte. Ebenso wehmütige
und sentimentale Abschiede von Familie und Freunden. Energiegeladen und frei
schwebte sie von ihrem Sitz, als sie symbolisch für die erdene Fessel den
blauen Sicherheitsgurt löste. Begeistert, nach drei langen Jahren wieder im All
zu sein, schwebte sie zum Fenster und betrachtete ihren Heimatplaneten; die
Ozeane, deren Blau nicht mehr so intensiv, die Wälder, deren Grün nicht mehr so
zahlreich, die Wolken, deren Weiß nicht mehr so jungfräulich wie einst
schimmerte. Grazil schmiegte sich die Dünne der Atmosphäre an den Planeten – wie
ein Schal aus grauer Seide.
    »Träumst du?«, brach eine Stimme in ihre Gedanken. Es war
die von Nancy. Die hochgewachsene, schlanke Gestalt, die, seit Karen sie
kannte, stets so aussah, als wäre sie gerade dem Centerfold eines einschlägigen
Männermagazins entstiegen. Nur ihre Ohren, eine Spur zu groß und eine Nuance zu
weit abstehend, fügten sich nicht so richtig in das sonst so perfekt scheinende
Gesamtkunstwerk.
    »An diese Aussicht werde ich mich wohl nie gewöhnen. Und ich
will mich auch nicht daran gewöhnen, ich will nicht, dass dieser Anblick
irgendwann einmal seine Faszination auf mich verliert; dass er
selbstverständlich wird, alltäglich, aufgebraucht und leer.« Sie wandte sich um
und sah in Nancys Augen, die in dem streifig einfallenden Sonnenlicht funkelten
wie zwei smaragdgrüne Dioptase.
    »Ich weiß, was du meinst und ich muss mir auf alle Fälle
einen Vorrat davon anlegen, denn in ein paar Monaten wird von unserer Erde
nichts mehr zu sehen sein, außer ein helles Pünktchen, das sich kaum von den
vielen anderen hellen Punkten im All unterscheiden wird.«
    Karen glaubte so etwas wie Melancholie in Nancys Augen
gesehen zu haben. »Ich würde mir deshalb aber keine grauen Haare wachsen lassen«,
meinte sie und musste sich ernsthaft darum bemühen, nicht nach eben diesen auf
dem Kopf ihrer Kollegin zu suchen. »Wenn es wirklich eng wird – ich meine
psychologisch gesehen – gehen wir einfach zu unserem Doc und lassen uns ein
paar von diesen farbenfrohen Stimmungsaufhellern verschreiben. Aber ich denke,
so weit wird es gar nicht erst kommen.«
    Ein Gefühl in Karens Bauch, das
oft auch als sechster Sinn oder weibliche Intuition bezeichnet wird, sagte ihr,
dass ihr Nancy – die nur stumm nickte – die letzte Bemerkung nicht abgekauft
hatte, sie als eine Formel zur Selbstmotivierung abgetan hatte. Vermutlich
wusste sie so gut wie jedes andere Besatzungsmitglied an Bord auch, dass die
Zeit endlos werden würde auf dem fast zweihundertsechzig Tage dauernden Flug, wenn
die Erde bald zusammengeschrumpft, bald unkenntlich durch die beengenden
Bullaugenfenster lugen würde, und die Enge wie ein straff verschnürtes Korsett sie
an den Rande des Wahnsinns bringen würde in der metallenen Haut ihres
Raumschiffs, das, trotz seiner Bezeichnung der Besatzung nicht viel Raum zu
bieten hatte. Es war eine psychologische Herausforderung interplanetaren
Ausmaßes, gemixt zu einem nicht leicht zu verdauenden Cocktail aus Langeweile,
räumlicher Distanz und Klaustrophobie, den es magenschonend zu verarbeiten galt,
wollten sie ihre Mission erfolgreich zu Ende bringen.
    Catherine und Andy schwebten
vor den Fenstern auf der Backbordseite. Unscheinbar und erfahren wirkte Andy. Man
hätte ihm auch nicht sofort angesehen, dass er erst sechsunddreißig war. Sein
blondes Haar trat bereits, verhalten aber doch, den Rückzug an, sein
Dreitagebart verlieh ihm die Aura eines Abenteurers, der nicht immer nur
kalkulierte Risiken eingegangen war. Aus seiner Personalakte wusste Karen, dass
er die legendäre Panamericana gefahren war, mit einer antiquierten Maschine,

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