Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
verteilten Fenster sah sie nur Schwarz. Das gleiche Schwarz
wie die Bezüge der Anti-G-Sitze, die die Beschleunigungs- und Abbremsphasen zum
Vergnügen machen sollten, wenn man der Marketingkampagne der Herstellerfirma
Glauben schenken wollte. So sparsam der Architekt beim Verteilen der verglasten
Luken gewesen war, so großzügig zeigten sich die Techniker beim Einsatz dieser
mehr als universellen Universaldisplays, die nahezu drei Viertel der Außenwand
tapezierten.
Sanft, ja geradezu zärtlich strichen Karens Finger über die
Oberfläche der Konsole, als wollte sie einem Neugeborenen sagen, ich bin hier, du
kannst mir vertrauen, ich werde gut auf dich aufpassen. Im Stillen hoffte sie
natürlich, dass sich das Schiff ihr und ihrer Crew gegenüber ähnlich verhalten würde.
Mit beiden Händen umfasste sie seitlich die Armlehnen, ehe sie sich langsam in
den Sitz gleiten ließ. Ehrfurcht und innere Ruhe und Befriedigung fühlte sie in
diesem Augenblick, als sie Platz nahm. Auf dem Platz, der für die nächsten dreihundert
Millionen Meilen der ihre war und für den sie …
Mit großen Augen starrte sie in die vertrauten Gesichter
ihrer Crew, die, ohne dass sie es registriert hatte, an den ihnen zugewiesenen
Stationen Platz genommen hatte. Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen, als
sie Begeisterung, Erwartung, Vorfreude und Zufriedenheit in den Gesichtern las.
»Legen wir los!«, sagte der Enthusiasmus in Catherines
Stimme. »Worauf warten wir noch?«
»Alles klar bei mir«, kam es von Lamin.
Sehr beruhigend, dachte Karen, dass zumindest beim Doc alles
klar ist.
»Ich kann es kaum mehr erwarten, den ersten roten Stein in
meinen Händen zu halten«, sagte Nancy.
»Was hält uns noch hier? Klar Schiff zum Start!« Pilot Umberto
begann fieberhaft mit seinen Fingerspitzen auf der Klaviatur seines Displays zu
spielen.
Die anderen taten es ihm gleich. Entspannt saß Karen auf
ihrem Platz. Sekunden verstrichen. Sie brauchte nicht auf das Bordchronometer
zu sehen. Zehn Sekunden, zwanzig, achtundzwanzig … Die Systeme hatten in den
Simulationen nie länger gebraucht um hochzufahren.
»Alle Systeme auf Go«, sagte Umberto und auf seiner Physiognomie
zeigte sich, in voller Breite, ein schiefes Grinsen.
»Wir sind startklar«, sagte Karen ruhig in das Mikrofon,
ohne auf eine Antwort zu warten, die ohnehin nicht kommen würde.
»Umberto, abdocken!« Sekunden verstrichen. Nichts war zu
hören. Kein Klicken einer Verriegelung, kein Zischen der Ventile durch die der
Treibstoff strömte, kein Atmen der Crew. Nur ihren Herzschlag konnte Karen
fühlen – ruhig und gleichmäßig.
»Abgedockt!«, kam es von Umberto.
»Und nun machen wir mal ein bisschen Dampf im Maschinenraum!«
»Dampf war vorgestern. Heute ist Fusion«, sagte Andy.
»Bring uns aus dem Bereich der Station. Zehn Prozent Schub.«
»Zehn Prozent«, kam gleich darauf die Bestätigung von Andy.
Walter Schwartz, der die gesamte Zeit über das Geschehen vom
Niedergang aus verfolgt hatte, musste lachen, als er die Crewmitglieder beobachtete,
wie diese auf den noch immer stromlosen, dunklen Displays herumhämmerten.
»So, das war genug Spaß für
heute«, meinte Karen, als sie aufstand und in die Runde blickte. »In acht Tagen
… wird es dann wirklich interessant.«
Eine Woche später, am
vierzehnten Mai zweitausendsiebenundsechzig, war die Stimmung nicht ganz so
ausgelassen. Als angespannte Lässigkeit konnte man die Atmosphäre beschreiben,
die sich gleich einer wohligen Decke, die doch hie und da auf der Haut kratzte,
über die Brücke legte. Mit flinken, gespenstischen Fingern trommelte Karen kaum
hörbar gegen ihre Steuerbord-Armlehne. Ihre Augen fixierten die drei
Bildschirme vor ihr, auf denen der letzte Systemcheck ablief. Weiß kamen die zu
überprüfenden Komponenten von unten in das Gesichtsfeld, um es grün nach oben
zu verlassen. Erst wenn alle Systeme den Status Grün hatten, konnte sie losgehen,
die lange Reise zum Roten Planeten.
Mars
One
Anfangs wollte sie es nicht wahr
haben. Bald jedoch bemerkte Karen, dass dieses Gefühl mehr und mehr Besitz von
ihr ergriff. Es war nicht Angst. Sie kannte diese Emotion, spürte, wenn sie
gegenwärtig war, wenn sie begann sich einzuschleichen. Verschiedene Arten und
Abstufungen hatte sie gelernt zu unterscheiden. Sie konnte sie im Zaum halten,
sie zurückdrängen und bot ihr keinerlei Chance, sie vollkommen zu beherrschen.
Diesmal jedoch war es anders. Ihre Abwehrmechanismen versagten. Sie fühlte
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