Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
nachhingen.
»Weißt du eigentlich, wie ich hier an Bord kam?«, fragte
Nancy unvermittelt.
»Durch dieselbe Schleuse wie wir alle, nehme ich an«, sagte
Karen und wusste nicht, wie die Frage richtig zu deuten war.
»Ich meine, wie ich zu der Stelle als Geologin kam.«
»Durch dein Studium?« Karen schmiegte ihren Kopf noch fester
in Nancys Schoß.
»Mein Lebenslauf sieht nicht gerade so aus, wie sich die
Personalagenturen das wünschten. Ich war eine Spätberufene. Als Kind wohnte ich
mit meinen Eltern in einem kleinen Nest, etwa siebzig Kilometer außerhalb von
Anchorage.«
»Ausgerechnet Alaska. Die Tatsache hätte mich ja auf der Erde
schon hoffnungslos deprimiert.«
»Weil es am Ende der Welt liegt? – Ich habe es geliebt dort
aufzuwachsen. Die Natur hat mich fasziniert, hätte mich auch um ein Haar in
ihren Bann gezogen, doch noch bevor es soweit war, gab es in der einstmals so
unberührten Wildnis keine Natur mehr, keine Wälder mehr – vereinzelte Bäume
noch, ja – und keine Bären mehr.«
Als wäre das ihr Stichwort gewesen, drückte Karen mit ihrem
Kopf sanft gegen Nancys Abdomen.
»Aus der Not machte ich eine Tugend und begann mich für
leblose Dinge zu interessieren, die es noch immer im Überfluss gab – Steine. Eine
Zeit lang machte ich die unterschiedlichsten Jobs. Ich kellnerte in einer Bar,
schenkte Bier aus im Pub und verkaufte in einer Buchhandlung elektronische Bücher
und holographische Karten. Es machte mir Spaß und ich konnte meinen
Lebensunterhalt damit verdienen.« Sie lauschte auf das tiefe und gleichmäßige
Atmen ihrer Kommandantin. »Karen? Schläfst du schon?«
»Nein. Erzähl weiter«, kam schwach die Antwort.
»Wirklich spannend wurde mein Leben, als mir eine Freundin
anbot, ich solle doch mit ihr in die Antarktis kommen, um nach Meteoriten im
Eis zu suchen. Über ein Jahr lang waren wir dort, auf den unterschiedlichsten
Stützpunkten, um die Arbeit zu erledigen. Das war ein Abenteuer. Bei minus
vierzig Grad, im Eissturm, wo du die Hand nicht mehr vor Augen siehst, die
Finger nicht mehr spürst, wenn du die schützenden Handschuhe auch nur ein paar
Sekunden abnimmst und wo dein Atem sofort an der Schneebrille Kristalle bildet.
Für die neuen Gleiter war das alles kein Problem. Bis minus neunzig Grad
Celsius sind sie angeblich einsatzfähig, haben beheizbare Kufen, dass sie wieder
vom Eis loskommen, falls sie festfrieren. Aber das Beste ist deren Radar. Egal
ob Eis oder Schnee in der Luft, egal ob Sturm oder nicht, auf den
Cockpitmonitoren siehst du alles, wie auf einem hundertachtzig Grad 3D Panorama.«
»Stell ich mir abenteuerlich vor«, sagte Karen müde.
»Als ich wieder zurückkam, begann ich vierundfünfzig mit
meinem Studium. Ich wohnte damals in Anchorage bei meiner Freundin Diane. Erst
über vier Jahre später, als ich die Ausbildung abgeschlossen hatte und als
Assistentin an der University of Alaska arbeitete, lernte ich Mark kennen. Ein
netter Kerl, aber nicht unbedingt mein Fall.« Sie machte eine Pause. »Ich
wollte eigentlich gar nicht, aber irgendwie hat es mich dann doch interessiert,
wie es ist, mit einem Mann … Eine klassische Dummheit. Als ich erfuhr, dass ich
schwanger war, war ich anfangs entsetzt, geschockt … und was weiß ich noch
alles. Ich wollte kein Kind. Innerhalb der nächsten zwei, drei Monate schlug
das Gefühl um und ich entschied mich, das Kind auf alle Fälle zu bekommen. Im
Dezember 2059 kam sie zur Welt – meine Tochter.« Nancy streichelte sanft über
Karens Wangen. »Ich habe das Mädchen geliebt; Karen. Das musst du mir glauben. Wie
verrückt habe ich es geliebt. Eines Tages kam mein Chef Professor Turner, der
Institutsvorstand, und sagte mir, er habe mich für die Crew der ersten
Marsmission vorgeschlagen. Ich hielt es für einen Scherz. Als sie mich dann
tatsächlich ausgewählt hatten und ich wegen des intensiven Trainings nie zu Hause
sein konnte, tat mir meine Tochter leid. Meine Eltern reisten mit ihr zwar
überall dorthin, wo ich gerade war; damit konnte ich sie zumindest ab und zu
sehen. Doch jetzt …« Nancys Augen waren traurig und leer. »… werde ich verrückt
bei dem Gedanken, dass ich sie allein zurückgelassen habe, bei meinen Eltern,
während ich hier die große Astronautin und Geologin spiele.« Es entstand eine
Pause und ganz leise flüsterte sie Karen ins Ohr: »Und dann hasse ich mich dafür.«
Karen sagte nichts.
»Karen? Karen«, haucht sie vorsichtig.
»Was? Was ist los? Ich bin schon wach.« Sie
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