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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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drehte sich auf
den Rücken und sah verschlafen in Nancys Gesicht. »Habe ich etwas verpasst.«
    Bedrückt, aber auch ein wenig
amüsiert, erwiderte Nancy ihren Blick. »Vermutlich nicht wirklich.«
    Schweigende Minuten saßen sie beisammen, bevor Nancy
weitersprach. »Doch dann versuche ich …« Sie musste sich räuspern. »… auch wieder
die positiven Dinge zu sehen, versuche Gefallen an dem Abenteuer und der
Herausforderung zu finden; dann bin ich glücklich, dass mir das große Privileg
zuteil wurde, von den über fünfhunderttausend Bewerbern weltweit, die sich
allein für die Geologenstelle auf dieser Mission beworben haben, ausgewählt
worden zu sein.«
    Karen wusste, was sie meinte. Sie kannte dieses Gefühl. Dass
das Leben an einem vorbeizieht, die Zukunft, die Träume. Sie dachte an die Zeit
zurück, als sie glaubte, ihre Welt stürze ein, als sie in ihrem Haus lag und
das Hearing ohne sie stattfand. Mit einem Mal hatte sie es wieder in sich,
dieses Es-wird-nicht-passieren-Gefühl. Fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers,
spürte ein unangenehmes Ziehen in ihren Eingeweiden. An diesem Tag, achtzig
Tage nach dem Abflug von Atlantica 3, fühlte sie sich wieder wie eine
Gefangene. Eine Gefangene in einem zwar nicht goldenen, aber doch sündhaft
teuren Metallkäfig, der sieben menschliche Wesen durch Raum und Zeit beförderte,
aus dem es für weitere hundertsechzig Tage oder zweihundert Millionen Meilen
kein Entkommen gab, kein kurzes Öffnen des Fensters, kein Abstecher ins nächste
Café, kein Spaziergang an der frischen Luft und kein Kuss von einer Geliebten. »Was
findest du außer dem Abenteuer und der Herausforderung eigentlich noch so
positiv an der Sache?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Hm …«
    Hab’ ich sie ertappt, meine liebe Geologin, dass sie mir
Dinge auftischt, die sie selbst nicht glaubt.
    »Wie wäre es mit dem Einzug in die Geschichte?«
    Karen sah sie groß an. »Das meinst du jetzt aber nicht ernst?«
    »Natürlich nicht. Nur Idioten würden das aus diesem Grund tun.
– Wie wäre es mit Folgendem: Mit jedem Kilometer fühle ich mich besser, der
zwischen mir und meinem Finanzamt liegt.«
    Karens Miene hellte sich auf, bis ihr Gesicht ein
nachhaltiges Schmunzeln zeigte. »Das hat was. Ist nicht leicht zu widerlegen. Das
muss ich zugeben. – Doch wenn du es auch nur einer Menschenseele gegenüber
erwähnst, werde ich alles abstreiten.«

12
    Mars
One
    Der unruhige Schlaf, in den sie
gefallen war, folgte in seinen Höhen und Tiefen dem Auf und Ab einer
Hochschaubahn, bei der der Planer den Wohlfühlfaktor seiner Passagiere nicht
einmal andeutungsweise berücksichtigt hatte. Zusammenhanglose Fetzen
zukünftiger Erinnerungen versuchten sich in ihrem Gehirn festzusetzen, mischten
sich mit jenen unwirklich anmutenden aus ihrer Vergangenheit, die sich dort bereits
träge und unauslöschlich eingebrannt hatten. Sie sah sich vor ihrer Crew stehen.
Während sie jegliche nur denkbare Art von Beschuldigung über sich ergehen
lassen musste, schien der Raum um sie sich ständig auszudehnen wie ein Ballon,
an dessen Innenseite befestigt, die Personen mit diesem mitwuchsen und bald
dämonische Ausmaße annahmen. Entschlossen und selbstbewusst rang sie nach
Worten, versuchte diese ihren Henkershelfern entgegenzuschleudern, ihnen den
Wind aus den Segeln bzw. die Axt aus der Hand zu nehmen, doch sie stand nur da,
starrte beschämt auf den Boden und brachte kein Wort über ihre Lippen.
    »Was sagst du jetzt dazu?«, fragte Lamin, sein Gesicht in dämonischem
Schwarz lachend, und unterstrich dabei besonders das Vorwurfsvolle. Die
Crewmitglieder standen gedrängt beisammen, umringten sie, raubten ihr die Luft
zum Atmen. Alle trugen sie schwarze Overalls, eine Person hatte eine Kapuze
über den Kopf bis weit ins Gesicht gezogen.
    »Vielleicht sollten wir unsere Kommandantin gleich hier
einen Kopf kürzer machen!«, höhnte eine Frauenstimme.
    Der Raum begann zu zerfließen. Spärlich kamen einige Details,
die sie glauben machen wollten, in der Zentrale des Schiffes zu sein.
    »Warum sollen wir die Blutorgie hier drinnen veranstalten?
Wir hätten nachher die Arbeit und könnten das gesamte Schiff reinigen.« Es war
die Stimme von Jacqueline. »Stecken wir das Miststück einfach in die
Luftschleuse und raus mit ihr.«
    Karen spürte, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper spannte.
Ihr Herz begann in einen unregelmäßig nervösen Takt zu fallen.
    »Ja, genialer Einfall. Mission Control erzählen wir, sie

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