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Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)

Titel: Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Muellner
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aufnehmen. »Ich könnte mich in Grund und Boden schämen. Komme mir vor
wie eine Vierzehnjährige, die sich bei ihrem ersten Date hoffnungslos blamiert hat,
wie eine Astronautin, die raumkrank wird, sobald sie sich in der
Schwerelosigkeit befindet, wie eine Entdeckerin, die Angst vor dem hat, was sie
möglicherweise entdecken könnte«, holte Karen aus.
    »Du kannst das langatmige Geschwafel gerne beiseite lassen
und gleich auf den Punkt kommen.«
    Karen überlegte einen Moment, sah tief in die Augen ihrer
Geologin, um dort eine tiefe Ruhe und die Farbe der Hoffnung zu finden. »Es
bedrückt mich, es verunsichert mich, es macht mir Angst, es bringt mich beinahe
um den Verstand, dass ich die Erde nicht mehr sehen kann. Das heißt, ich sehe
sie noch als kleinen Punkt, aber ich kann sie nicht mehr wahrnehmen.« Tränen
stiegen in ihre Augen und ihre Schultern zitterten.
    Nancy, die neben Karen auf deren Bett saß, rutschte näher
und legte den rechten Arm um sie. Fest, ganz fest hielt sie ihre Kommandantin,
als gelte es, ihr die Erde mit all ihrer Geborgenheit und Vertrautheit zu ersetzen.
Sie sagte nichts. Keinen dummen Spruch, keine Floskel, keinen Scherz und kein Das-wird-schon-wieder.
Sie hielt sie nur fest.
    Karen spürte die Wärme, die Nähe, fühlte sich wie ein Eisbärenjunges,
das sich nah an ihre Mutter schmiegt, um sicher und geborgen zu sein. Sie lehnte
ihren Kopf an Nancys Schultern. Sie kämpfte, wollte nicht auch noch zu heulen
beginnen und ließ dann doch ihre Tränen fließen. Alle Selbstbeherrschung war
verflogen, alle Scham verdrängt. Karen wusste, jetzt ging es ums nackte
Überleben – psychologisch gesehen.
    »Ich bin immer für dich da«, drang Nancys Stimme wie
zärtlich gehauchter Balsam, einfühlsam und beruhigend an ihr Ohr.
    Mit einem Mal fühlte sie sich müde und schwach; ausgelaugt.
Ihre Batterien waren verbraucht, der letzte Tropfen Energie entnommen. Als wäre
es die selbstverständlichste Sache der Welt rollte sie sich zusammen, legte
ihren Kopf in Nancys Schoß. Sie spürte, wie deren Finger ihr das Haar aus dem
Gesicht strichen und zärtlich ihre Wange streichelten. »Ich fühle mich so verloren,
so einsam«, brach es plötzlich aus ihr hervor. »Alles, was mir in meinem Leben
jemals wichtig war, ist irgendwo da draußen auf dem Planeten, den ich kaum noch
sehen kann. Jeder Mensch, den ich jemals geliebt habe, ist dort. Alles was ich
…« Sie stockte, wollte weitersprechen – doch sie konnte nicht.
    »Ist schon gut, Karen. Es geht uns doch allen so«, sagte Nancy
mit therapeutischem Einfühlungsvermögen.
    Die Kommandantin versuchte flach und kontrolliert zu atmen. »Danke,
dass du das sagst.« Sie schniefte. »Aber dir und den anderen scheint es nicht
annähernd so … so schlecht zu gehen. Nimm nur Umberto. Der amüsiert sich
königlich, wenn er die Brücke für sich alleine hat – sein privates Opernhaus.«
    »Umberto? Vergiss Umberto. Der ist eine Ausnahme. Aber uns
anderen …« Nancy schien nach einem sinnvollen Ende ihres Satzes zu suchen.
    »Lass gut sein. Vielleicht bin ich doch nicht die Richtige
für diese große Aufgabe. Immerhin war ich ja nur die zweite Wahl.«
    »Das will ich jetzt aber nicht gehört haben. Sechs Menschen
hier an Bord bewundern dich; und auf der Erde sind es vermutlich ein paar
Milliarden.«
    »Jetzt bist du die, die lügt.«
    Paralysiert starrte Nancy Karen an. Dann lachte sie. »Okay,
ich gebe zu, Umberto bewundert vermutlich ausschließlich Umberto – und
vielleicht noch Verdi. Glaubwürdig?«
    Karen nickte, doch schaffte sie es nicht, Nancy ins Gesicht
zu sehen. »Vielleicht bin ich doch zu sensibel für ein Unternehmen dieser
Größenordnung.«
    »Glaubst du wirklich, mir und der restlichen Crew ist es
gleichgültig, was hier passiert?«
    Karen schwieg.
    »Es vergeht kein beschissener – entschuldige – beschissener
Tag in dieser Konservendose, an dem ich nicht an zu Hause, an meine Tochter, meine
Freunde oder an mein Lieblingslokal denken muss. Ich fühle mich, als hätte ich all
das schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Ich vermisse Dinge, von denen
ich nie dachte, dass ich sie jemals vermissen könnte: Den Lärm der Straßen, das
Geschrei der Kinder, das Gekreische der Nachbarin. – Ein weichgekochtes Ei, ein
saftiges Steak, einen Kaffee – verstehst du? Einen beschissenen Kaffee aus
echter Bohne und …«
    Karen bemerkte wie Nancys Stimme brach – vom Energischen ins
Sentimentale.
    Lang waren die Minuten, die sie ihren Gedanken

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