Die Frauen der Calhouns 05 - Megan
Sie trug ein Cape mit einer Kapuze, und Tränen liefen ihr über die Wangen.«
Gefesselt von der Geschichte, lehnte Kevin sich mit erwartungsvoll aufgerissenen Augen vor.
»Ich ging auf sie zu, durch den dichten Nebel. Sie war sehr schön, und sie war sehr traurig. ›Verloren‹, sagte sie, als ich näher kam. ›Er ist verloren. Und ich auch.‹ Und dann verschwand sie, löste sich auf wie Rauch.«
»Ehrlich?«, flüsterte Kevin ehrfurchtsvoll.
Nathaniel erinnerte sich daran, dass es hier nicht um Ehrlichkeit ging, sondern um eine spannende Geschichte. »Man nannte sie die ›Lady des Kapitäns‹. Das Schiff ihres Geliebten ging in einer stürmischen Nacht vor der irischen Küste mit Mann und Maus unter. Und sie kam jeden Tag auf die Klippen und weinte um ihn. Auch nach ihrem Tod.«
»Vielleicht solltest du Bücher schreiben, wie Max.« Megan ärgerte sich, dass auch sie sich der Faszination der Geschichte nicht entziehen konnte.
»Oh, niemand spinnt Seemannsgarn besser als er.« Julie stellte zwei Flaschen Bier und eine Limonade auf den Tisch. »Früher hat er mir immer von den Orten vorgeschwärmt, die er sehen wollte. Na, die hast du ja dann auch gesehen, was, Captain?«
»Ja, fast alle.« Er setzte sein Bier an die Lippen. »Aber dich habe ich nie vergessen, Darling.«
Julie lachte bellend auf und versetzte ihm den nächsten Knuff auf die Schulter. »Immer noch der Charmeur mit der glatten Zunge«, sagte sie und marschierte davon.
Megan starrte mit gerunzelter Stirn auf ihre Bierflasche. »Sie hat gar nicht unsere Bestellung aufgenommen.«
»Sie wird uns das Beste zurechtmachen.« Er nahm noch einen Schluck. »Weil sie mich mag.« Er deutete auf Megans Bier. »Wenn du das nicht trinken möchtest, kann ich sie bestimmt überreden, dir etwas anderes zu bringen.«
»Nein, ist schon in Ordnung. Du kennst wohl viele Leute hier auf der Insel, oder? Schließlich bist du hier aufgewachsen.«
»Schon einige. Aber ich war lange weg.«
»Nate ist nämlich um die ganze Welt gesegelt. Sogar zweimal.« Kevin saugte an seinem Strohhalm. »Durch Wind und Wetter und Stürme und Taifune.«
»Das muss aufregend und interessant gewesen sein.«
»Es hat sicherlich denkwürdige Momente gegeben.«
»Fehlt es dir?«
»Fünfzehn Jahre lang bin ich auf dem Schiff eines anderen Mannes gesegelt. Jetzt habe ich mein eigenes. Die Dinge ändern sich.« Nathaniel legte den Arm auf die Rückenlehne der Bank. »Und ihr seid ja jetzt auch hier.«
»Uns gefällt es hier richtig gut.« Kevin stocherte mit dem Strohhalm in seiner Limonade. »Moms Chef in Oklahoma war ein alter Knicker.«
»Kevin!«
»Das hat Grandpa aber gesagt. Und dass der dich gar nicht zu würdigen weiß. Außerdem stellst du dein Licht unter den Scheffel.« Er wusste zwar nicht so genau, was das hieß, doch das waren die Worte seiner Großmutter gewesen.
»Grandpa ist parteiisch.« Lächelnd wuschelte sie ihm durchs Haar. »Aber ja, es gefällt uns hier.«
»Langt zu!« Zugleich mit dem humorvollen Befehl stellte Julie drei enorme Portionen auf den Tisch.
Die knusprigen Brötchen waren mit fleischigen Hummerstücken belegt, daneben türmten sich Krautsalat und Pommes frites.
»Das Mädchen muss zulegen«, erklärte Julie entschieden. »Und der Junge auch. Wusste gar nicht, dass du sie mager magst, Captain.«
»Ich mag alle, die ich kriegen kann, Julie«, meinte Nathaniel gut gelaunt und erntete damit wieherndes Gelächter von Julie.
»Das schaffen wir ja nie!« Megan starrte auf ihren Teller.
»Natürlich schaffen wir das.« Nathaniel hatte sich bereits an sein Brötchen gemacht. »Sag, hast du schon mit Fergus’ Buch angefangen?«
»Nicht wirklich.« Megan biss von dem Brötchen ab. Was beim Service zu kurz kam, wurde mit dem Essen wieder wettgemacht. Es schmeckte himmlisch! »Ich wollte erst aufholen, was nötig war. Für Shipshape war es am dringendsten. Ich muss noch euer zweites Quartal bearbeiten und das für The Retreat auch.«
»Deine Mutter ist eine sehr vernünftige Frau, Kevin.«
»Ich weiß«, meinte der Junge kauend. »Grandpa sagt immer, sie soll lieber öfter mal ausgehen.«
»Kevin!«
Doch die Ermahnung kam zu spät. Nathaniel grinste breit vor sich hin.
»So, sagt er das, ja? Was sagt Grandpa denn sonst noch?«
»Dass sie das Leben mehr genießen soll.« Kevin machte sich über seine Pommes frites her. »Weil sie zu jung ist, um als Einsiedlerin zu enden.«
»Dein Großvater scheint ein kluger Mann zu sein.«
»Oh ja, er
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