Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Monate für sie gewesen sein mussten. Seit dreißig Jahren lebte sie mit einer Lüge. Sie lebte nicht nur damit, die Lüge war sogar das Fundament, auf dem ihre gesamte Existenz ruhte. Seit dreißig Jahren. Das war lange genug, um beinahe selbst daran zu glauben. Doch dann war er gekommen. Eine Bedrohung von außen, die plötzlich alles zum Einsturz bringen konnte. Alles, was sie aufgebaut hatte. Alles, was sie besaß. Alles. Und jetzt war er wieder hier, obwohl er es nicht durfte, nicht sollte. Es konnte nur schlimmer werden.
«Wie, um mich?», fragte sie jetzt mit einer Stimme, die nur noch defensiv klang.
Sebastian entschied, die Sache gar nicht erst zu beschönigen. «Es kann sein, dass du in Gefahr bist.»
«Wie? Warum?» Anna schien eher verwirrt als ängstlich. Die Frage war, ob sie die eigentliche Tragweite seiner Worte begriffen hatte.
«Darf ich reinkommen?», fragte Sebastian, so sanft er konnte. «Ich will dir nur sagen, weshalb ich gekommen bin, und dann gehe ich wieder, versprochen.»
Anna sah ihn prüfend an, als wolle sie ergründen, ob er log. Ob er mit seinem Besuch irgendwelche anderen, verborgenen Absichten verfolgte. Ob noch weitere unangenehme Überraschungen ans Tageslicht kommen würden.
Sebastian begegnete ihrem Blick so offen und ehrlich er konnte. Anna schien gerade zu überlegen, ob sie ihm die Tür vor der Nase zuknallen sollte.
«Bitte …», flehte Sebastian. «Es ist wichtig, sonst wäre ich nicht gekommen.»
Anna seufzte kurz, senkte den Blick, trat zur Seite und öffnete die Tür ein Stück weit. Sebastian schob sie weiter auf und ging an ihr vorbei in die Wohnung. Mit einem letzten Blick ins Treppenhaus schloss Anna die Tür hinter ihm.
V or der Storskärsgatan, dreißig Meter von Haus Nummer 12 entfernt, saß der große Mann in seinem Auto. Einem neuen Auto. Den Ford hatte jemand für ihn entsorgt, kurz nachdem Sebastian Bergman auf der Straße vor dem Polizeipräsidium auf ihn zugerannt war. Jetzt fuhr er einen silberfarbenen Toyota Auris. Er wusste nicht, was aus dem alten Auto geworden war und woher das neue kam. Vermutlich war es ebenfalls gestohlen. Auf fyghor.se hatte er eine Mitteilung erhalten, wann und wo er es abholen konnte. Er war zum richtigen Zeitpunkt dort gewesen, und tatsächlich hatte es am vereinbarten Platz gestanden, der Schlüssel steckte im Zündschloss. Jetzt konnte er Sebastian erneut folgen. Aber diesmal hielt er größeren Abstand. Saß nicht ganz so sichtbar hinter dem Steuer. Er duckte sich tiefer und häufiger, als er es früher getan hatte, war vorsichtiger geworden, aber Sebastian schien nicht nach ihm Ausschau zu halten. Nicht ein einziges Mal hatte er sich wachsam umgesehen oder Umwege gemacht, die seine Verfolgung erschwert hätten. Eine Weile hatte der große Mann geglaubt, dass man ihm eine Falle stellen wollte. Dass der Psychologe nur deshalb so desinteressiert an seiner Umgebung wirkte und so sorglos seiner Wege ging, weil er auch von Polizisten observiert wurde, die einen Blick auf seinen Verfolger erhaschen wollten. Aber das schien nicht der Fall zu sein. Dann hätte der große Mann sie mittlerweile entdeckt.
Inzwischen hatten sie die Vierte gefunden. In der Wohnung. Die Medien hatten fette Schlagzeilen gebracht, und der große Mann hatte an diesem Tag alle Zeitungen gekauft. Sie lagen neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er sehnte sich danach, nach Hause zu kommen, damit er sie lesen konnte. Daran wachsen konnte. Das Ritual, sie zu archivieren, musste erweitert und verfeinert werden, das hatte er begriffen, nachdem er die raschen Aktualisierungen im Internet gesehen hatte.
Die Vierte war nicht leicht gewesen. Soweit er erkennen konnte, war es eine neue Bekanntschaft von Sebastian gewesen. Bergman war von seinem Psychologenfreund auf dem Fels vor jenem Haus abgeholt worden, wo Vanja Lithner wohnte, die Polizistin von der Reichsmordkommission. Gemeinsam mit dem Psychologen war Bergman zu einem Versammlungsraum gefahren und zwei Stunden später zusammen mit der Frau, die die vierte werden sollte, herausgekommen und in ein Taxi gestiegen. Sie waren zu ihrer Wohnung gefahren.
Der große Mann hatte beobachtet, welchen Türcode die Frau eingegeben hatte, und war Sebastian und ihr anschließend unbemerkt bis in den Hauseingang gefolgt. Dort hatte er glücklicherweise hören können, in welchem Stockwerk sie ausstiegen, aber welche Wohnung genau sie betraten, konnte er unmöglich bestimmen. Während Sebastian bei der Frau war, setzte sich
Weitere Kostenlose Bücher