Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
mehr danebenbenahm, als er es sowieso schon getan hatte.
«Hat er nie gefragt?»
«Wer?» Annas Gedanken waren ganz woanders.
«Valdemar. Wer ihr Vater ist?»
Annas Miene verriet deutlich, dass sie dieses Thema nicht diskutieren wollte. Nicht mit ihm. Und auch mit niemandem sonst.
«Einmal», antwortete sie knapp. «Aber ich habe es ihm nicht erzählt.»
«Und damit hat er sich zufriedengegeben?»
Anna zuckte mit den Schultern. «Er ist ein guter Mann.»
«Das habe ich schon verstanden.»
Sie schwiegen. Was gab es auch noch groß zu sagen? Sebastian öffnete die Tür. Anna trat einen Schritt vor und ergriff sofort die Klinke, kaum dass er sie losgelassen hatte, darauf erpicht, dass er endlich ging.
«Es tut mir leid», sagte Sebastian noch einmal, als er das dunkle Treppenhaus betrat.
«Ja, das sagtest du bereits …»
Sie schloss die Tür hinter ihm. Einen Moment lang blieb Sebastian stehen und spürte, wie erschöpft er war. Physisch und psychisch. Dieser Tag war einer der längsten in seinem ganzen Leben gewesen, und er war noch nicht zu Ende. Noch eine weitere Station. Dann noch eine. Mit schweren Schritten stieg er die Treppe hinab.
D er große Mann wollte fast schon aufgeben, als er sah, wie Sebastian mit seinem Handy am Ohr aus dem Hauseingang kam. Er versank so tief hinter dem Steuer, dass er gerade noch den Oberkörper des Mannes sehen konnte, den er verfolgte. Er war ziemlich sicher, dass Sebastian ihn auf die Entfernung durch die leicht reflektierende Scheibe und die einsetzende Dämmerung unmöglich entdecken konnte, selbst wenn er zu ihm hinüber sehen würde. Aber das tat er nicht. Er steckte sein Handy ein und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Der große Mann saß weiterhin unbewegt da und folgte ihm mit dem Blick. Sebastian blieb an der Kreuzung stehen, es schien, als warte er auf etwas.
Nach fünf Minuten kam ein Taxi. Sebastian stieg ein, und das Auto fuhr los. Der große Mann drehte den Zündschlüssel und folgte ihm. Noch ein Weilchen. Eine halbe Stunde, ehe die Pflicht rief.
Er genoss es. Nicht die Verfolgung an sich, sondern ihr mögliches Ziel.
Die Fünfte.
Vielleicht sogar eine Sechste.
Von den ersten drei Frauen hatte er nur den Namen bekommen. Name und Adresse, über die Website. Er hatte über sie recherchiert, hatte so viel herausgefunden, wie er glaubte, über ihr Leben wissen zu müssen, und dann den geeigneten Zeitpunkt gewählt. Die Vierte war anders gewesen. Plötzlich sollte es eine sein, die erst kürzlich mit Sebastian Bergman im Bett gewesen war. Damit das Muster deutlich wurde. Es hatte funktioniert. Die Reichsmordkommission hatte den Zusammenhang, das wusste er. Sie hatten es durch den gemeinsamen Nenner herausgefunden. Dass Sebastian an den Ermittlungen beteiligt war, war der Beweis. Dem Meister zufolge würde diese Erkenntnis dazu führen, dass Sebastian sein Gedächtnis durchforsten und einige seiner ehemaligen Partnerinnen warnen würde. Nicht alle, das wäre natürlich unmöglich. Aber jene, mit denen er erst kürzlich etwas gehabt hatte oder die ihm irgendwie nahestanden, würde er kontaktieren, damit ihnen nichts zustieß. War Vanja Lithners Mutter eine von ihnen? War Sebastian aus diesem Grund heute Abend zu ihr gefahren? Möglich schien es. Die Sache war es auf jeden Fall wert, berichtet zu werden.
Das Taxi fuhr weiter auf dem Valhallavägen entlang. Das war nicht Sebastians Heimweg. Ob er noch mehr Frauen warnen würde? Der große Mann konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. Vielleicht würde er diesmal selbst bestimmen dürfen. Über Leben und Tod entscheiden. Er. Kein anderer. Diese Macht war ihm gegeben worden. Dafür würde er ewig dankbar sein.
Schade, dass er sie nicht damals schon besessen hatte.
Nach der Hochzeit und dem Umzug in die große Altbauwohnung in der Innenstadt war Lennart ein häufiger Gast bei ihnen gewesen. Manchmal kam er mit seiner Frau, meistens jedoch allein. Wenn Sofia und sein Vater Besorgungen machen mussten, was häufig der Fall war, bot sich Lennart als Babysitter an.
Er mochte seinen «Opa». Sie machten zusammen Hausaufgaben, spielten Karten, und er brachte dem älteren Herrn sogar bei, wie man Nintendo spielte. Er hatte durch den Schulwechsel zwar keine neuen Freunde gefunden, aber Lennart unternahm an den Wochenenden Ausflüge mit ihm. Sie fuhren in den Freizeitpark Skansen, zum Fernsehturm Kaknäs, sie besuchten Djurgården und das Schloss – Ziele, an denen die meisten Gleichaltrigen schon
Weitere Kostenlose Bücher