Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
nicht.
Was andere wollten, war immer wichtiger.
Also setzten sich die Ausflüge fort. Die meisten Male war es wie immer. Normale Unternehmungen mit normalen Menschen. Aber in regelmäßigen Abständen, die ihm immer kürzer vorkamen, ging es wieder zum Ferienhaus.
Er versuchte, dahinterzukommen, was er anders gemacht hatte, wenn sie dorthin fuhren. Hatte es etwas mit ihm zu tun? War es sein Verhalten? Vielleicht sogar seine Schuld? Er begann, seine Handlungen immer genauer zu kontrollieren, von dem Zeitpunkt an, als er erfuhr, dass Opa ihn abholen würde, bis zu dem Moment, als sie im Auto saßen. Wenn es dann ein lustiger und schöner Ausflug war, versuchte er, beim nächsten Mal exakt dasselbe zu tun. Fuhren sie ins Sommerhaus, hatte er wahrscheinlich etwas übersehen. Alles war von Bedeutung. Wie er sein Bett machte. Wie seine Anziehsachen zusammengelegt waren. Nichts durfte ihm entgehen. Wie das Essen auf dem Teller lag. Wie lange er sich die Zähne geputzt hatte. Der kleinste Fehltritt, das kleinste Detail, das er anders machte, konnte dazu führen, dass er wieder in den Keller musste. Wie viele Schritte er von seinem Zimmer in die Küche machte, wenn er zum Frühstücken ging. In welcher Reihenfolge er seinen Turnbeutel packte. Sein Leben wurde immer mehr von Ritualen bestimmt. Einmal hörte er, wie Sofia mit Papa über etwas sprach, das man «Zwangsgedanken» nannte, als die beiden glaubten, er schliefe bereits.
Sie hatte besorgt geklungen. Papa versprach Sofia, mit ihm darüber zu sprechen.
Das tat er dann auch ein paar Tage später. Fragte, was zum Teufel sein Sohn da gerade trieb? Also erzählte er. Vom Ferienhaus. Von den Menschen, die wie Tiere waren. Die anfangs nur in der Dunkelheit herumgehuscht waren und ihm Angst gemacht hatten. Die jetzt aber andere Dinge taten. Die überall waren. Um ihn herum. Auf ihm. In ihm.
Papa glaubte ihm nicht. Menschen wie Tiere! Er versuchte, die Sache mit den Masken zu erklären, verlor jedoch den Faden. Stotterte. Stammelte. Schämte sich. Wo lag dieses Haus? Er wusste es nicht. Es schien, als würden sie jedes Mal einen anderen Weg nehmen. Sobald er begriff, wo sie hinfuhren, verlor er die Konzentration. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen. Das Haus lag im Wald. Auf einer Lichtung. Papa packte ihn und hielt ihn fest. Er wurde ernst. Er solle nie wieder ein Wort über diese Sache verlieren. Ob er das begriffen hätte? Niemals. Warum er die Dinge nicht einfach auf sich beruhen lassen könne? Warum er alles zerstöre wolle, jetzt, wo es ihnen endlich einmal in jeder Hinsicht gutginge? Mit seinem merkwürdigen Benehmen verstöre er Sofia. Was wäre, wenn sie Papa und ihn irgendwann leid wäre? Was sollten sie dann tun?
«Ich weiß nicht», antwortete er.
«Aber ich weiß es», sagte sein Vater und erinnerte ihn daran, wie es seiner Mutter ergangen war. Ihr, die ebenfalls krank gewesen war, die sich genau wie er Sachen eingebildet und Probleme mit der Wirklichkeit gehabt hatte. Vielleicht war so etwas erblich. Wenn er so weitermachte, würden sie vielleicht gezwungen sein, ihn auch wegzugeben. Einsperren zu lassen. Und das wollte er doch wohl nicht?
Und so erzählte er nie wieder etwas über die Dinge, die im Ferienhaus passiert waren. Niemandem.
Doch es passierte wieder.
Und wieder.
Erst einige Wochen nach seinem sechzehnten Geburtstag hörte er es auf. Als Lennart starb. Bei der Beerdigung lächelte er die ganze Zeit und stellte sich vor, er hätte ihn umgebracht.
Das Taxi hielt an, und Sebastian stieg aus. Vasastan. Ellinor Bergkvist. Der große Mann wusste bereits von ihr, würde aber ein weiteres Mal Bericht über sie erstatten, jetzt, da Sebastian den Kontakt zu ihr wieder aufnahm. Er sah auf die Uhr. Selbst wenn Sebastian es noch schaffen könnte, eine oder zwei Frauen aufzusuchen, war der Mann gezwungen, seine Observation an dieser Stelle zu beenden. Er legte den ersten Gang ein und raste an dem haltenden Taxi vorbei. Er hoffte, dass er es sich diesmal aussuchen durfte. Dann würde er Anna Eriksson wählen. Dass Sebastian mit ihrer Tochter zusammenarbeitete, wäre nur ein begrüßenswerter Bonus.
S ebastian stieg die Treppen zu Ellinors Wohnung hinauf. Er zögerte, bevor er klingelte. Er würde die Sache schnell hinter sich bringen. Sie hatte seine Hand gehalten, hatte ihn dazu gebracht, mit ihr zu frühstücken und ihm zu seinem Namenstag Blumen geschickt. Sie war definitiv keine Frau, deren Bekanntschaft Sebastian weiter vertiefen
Weitere Kostenlose Bücher