Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
aufnahm. War sie wirklich so einsam? Er wusste es nicht. Eigentlich war es ihm auch egal. Aber sie sah so klein aus, wie sie da auf der äußersten Sesselkante saß mit ihren verkrampften Händen.
«Notfalls musst du eben ins Hotel ziehen.»
Ellinor nickte stumm. Sebastian überlegte kurz. Konnte er jetzt einfach so gehen? Es gab ja keinen Verhaltenskodex dafür, wie lange man anstandshalber noch bleiben musste, nachdem man jemandem mitgeteilt hatte, dass sein Leben bedroht war. Und hätte es einen gegeben, hätte er sich ohnehin nicht daran gehalten. Aber sollte er trotzdem noch kurz dableiben? Diese eine Tasse Kaffee trinken? Sie würde es missverstehen. Zu viel hineininterpretieren. Er wollte sie in dem, was auch immer sie für ihn empfand, auf keinen Fall bestärken. Dies war hoffentlich das letzte Mal, dass sie sich sahen. Warum sollte er es in die Länge ziehen? Eine weitere halbe Stunde in der Küche würde sie nicht weniger einsam machen. Nein, er würde auf den Kaffee verzichten. Er würde sich an den Plan halten.
«Ich muss gehen.»
Ellinor nickte und stand auf.
«Ich bringe dich noch zur Tür.»
Sie gingen in den Flur. Sebastian öffnete die Tür und blieb stehen. Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber ihm fiel nichts ein. Sie ein weiteres Mal zu warnen, hatte keinen Zweck. Sie hatte den Ernst der Lage verstanden, das sah er ihr an. Er ging die Treppe hinunter und hörte das Rasseln der Sicherheitskette.
Als Sebastian gegangen war, lehnte Ellinor sich gegen die Tür und lächelte vor sich hin. Ihr Herz schlug schneller. Ihre Beine zitterten leicht. Er war zurückgekommen. Natürlich. Ellinor ging wieder ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa, genau auf die Stelle, wo Sebastian gerade gesessen hatte. Sie war noch immer angenehm warm von seinem Körper, und ihr wurde innerlich ebenfalls warm, auch, weil er so fürsorglich war. All das Gerede, sie solle niemanden in die Wohnung lassen und sich vor fremden Männern in Acht nehmen – was war das anderes als eine umständliche Art und Weise, ihr zu sagen, dass es ihm nicht gefiel, wenn sie andere traf. Dass sie ihm gehörte.
Sie lehnte sich zurück. Glaubte, seinen Duft an der Rückenlehne wahrnehmen zu können. Er war schüchtern, auch wenn man das im ersten Moment nicht glauben würde. Schließlich versteckte er es gut hinter seiner ungeschliffenen und schroffen Fassade. Sie hatte ihm mehrere Chancen gegeben zu sagen, was er eigentlich wollte, den wahren Grund für seinen Besuch preiszugeben, aber er hatte es nicht fertiggebracht. Stattdessen hatte er eine richtige Räuberpistole zusammengedichtet. Und alles nur, um ihr näherzukommen.
Sie könne nicht hierbleiben.
Sie sei gezwungen, umzuziehen.
Ellinor hatte sich anstrengen müssen, um ihre ernste Miene zu wahren. Um mitzuspielen. Eigentlich wäre sie am liebsten aus dem Sessel aufgesprungen und hätte ihn an sich gedrückt, geschüttelt und gesagt, dass sie ihn verstand. Aber sie wollte ihm seinen Weg lassen. Ellinor lächelte erneut. Es war beinahe niedlich, wie schwer es ihm fiel zu sagen, dass er sie bei sich haben wollte. Aber sie verstand ihn. Sie verstand ihn so gut. Seelenverwandte, das waren sie. Sie schloss die Augen und genoss es, dort zu sitzen, wo er eben noch gesessen hatte. Einige Minuten konnte sie sich noch gönnen.
U rsula ließ sich ins warme Wasser sinken. Sie legte ihren Kopf auf den Rand der Badewanne. Versuchte, sich zu entspannen. Das musste sie dringend. Es war ein, gelinde gesagt, aufwühlender Tag gewesen. Der Fall hatte eine neue Wendung genommen, die niemand hatte vorhersehen können. Keiner im Team war davon unberührt geblieben, aber Ursula spürte, dass sie wohl diejenige war, die am meisten davon betroffen war.
Die Verbindung zu Sebastian ließ alte Erinnerungen wieder hochkommen, an deren Verdrängung sie hart und zielgerichtet gearbeitet hatte. Die sie ins Reich des Vergessens verbannt hatte. Jetzt tauchten sie wieder auf. Unangemeldet und unerwünscht. Machten sie nervös und reizbar.
Sie zuckte zusammen. Hatte sie ein Geräusch gehört? Aus dem unteren Stockwerk? Sie lag vollkommen reglos im Wasser und lauschte, aber alles war still.
Phantasien.
Hirngespinste.
Micke war nicht zu Hause. Er war mit einigen Kunden essen gegangen. Es konnte spät werden, und das würde es wohl auch. Sie war nicht gefragt worden, ob sie mitkommen wollte. Das war selten der Fall. Fast nie. Mickes Art von Geschäftsessen erforderte keine repräsentative Ehefrau
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