Die Frauen von Bramble House
anderen Grund für das Verhalten der beiden alten Damen geben: Peggys Vater war nicht mehr im Haus. Sie hatte völlig vergessen, daß er fort war; doch nun spürte sie deutlich die allgemeine Unbeschwertheit, und sie hörte ihre Großmutter doch wahrhaftig lachen. Sie war nun schon eine gute Viertelstunde mit ihr zusammen, und sie hatte sich noch kein einziges Mal über eines ihrer Wehwehchen beklagt. Ach, wäre es nicht wundervoll, wenn Vater nie wieder nach Hause kommen würde! »Ihgitt! Ach Gott, ach Gott …«
»Was hast du denn Kind? Fühlst du dich nicht gut?« Emma Funnell hatte mit einer gebieterischen Handbewegung Andrews Redefluß unterbrochen, dann nach Peggys Hand gegriffen und gefragt: »Ist dir was?«
»Nein, nein, Uroma. Mir war bloß ein bißchen komisch, nichts weiter. Wenn’s euch recht ist, geh ich ein bißchen an die Luft. Wißt ihr was, ich schau mal rüber zu den Conways und sag Mama, daß wir zurück sind.« Als sie sich erhob, sprang auch Andrew auf, also sagte sie hastig: »Nein, bleib du nur und erzähl ihnen alles. Erzähl ihnen von dem alten Gentleman, der andauernd Schnupftabak schnupfte, und wie seine Frau prompt immer sagte: Ha-tschiee! Pardon!«
»Gern … natürlich.« Und er nickte ihr lächelnd zu.
Und dann sagte Emma Funnell hoheitsvoll: »Also setzen Sie sich schon wieder hin, setzen Sie sich! Machen Sie sich keine Sorgen, ihr fehlt schon nichts. Das wird ihr noch etliche Male passieren, ehe sie es hinter sich hat. Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Aber jetzt kommen Sie und erzählen Sie uns von dem schnupfenden Gentleman.«
Peggy blieb draußen vor der Tür zum Salon eine Weile stehen. Das Schuldgefühl, das sie vorhin bei ihrem häßlichen Gedanken befallen hatte, lag immer noch auf ihr, aber stärker als dies war ihr Erstaunen darüber, wie gut Andrew plaudern konnte, und noch seltsamer war, wie leicht und selbstverständlich Großmutter und Urgroßmutter ihn akzeptieren. Besonders die Urgroßmutter. Das war wirklich verblüffend.
Sie nahm den ausgetretenen Pfad über den Hof, durch den Garten und hinunter durch das Gehölz und trat durch das Gatter in den rückwärtigen Garten der Conways. Und dort stieß sie am Schuppen auf Charlie, der einen Reifen an seinem Fahrrad aufpumpte.
Sie blieb kurz stehen, dann ging sie entschlossen auf ihn zu. Er hatte sie sofort gesehen, als sie durch das Gartentor gekommen war; dennoch richtete er sich nur langsam auf. Aber dann sprach doch er zuerst. »Also, du bist wieder da.«
»Ja. Ich bin wieder da. Hattest du einen Platten?«
»So was in der Art. Wie war’s denn so?«
»Oooch …« Ihr Gesicht verzog sich ein wenig, aber sie lächelte nicht. »Oh, eigentlich ganz angenehm. Das Hotel war prima, und alle waren sehr nett.«
»Dann ist’s ja gut und schön im Garten Eden.«
»Was hast du denn?«
»Was meinst du damit, was ich haben soll?«
»Na, weil du dich so aufführst. Und du bist auch nicht gekommen … am Samstag zu meiner Hochzeit. Deine Mutter hat gesagt, du hast dich erkältet, aber das war nicht wahr, stimmt’s?«
»Ich war nicht erkältet, nein.« Er hielt die Luftpumpe ausgezogen in den Händen, jetzt stieß er den Kolben nach unten und sagte bitter: »Wieso hast du unbedingt hingehen und den heiraten müssen?« Aber ehe sie ihm antworten konnte, sprach er schon weiter: »Ach, ich weiß schon. Meine Mutter hat es mir erklärt, die Respektabilität und ein uneheliches Kind, ein Bastard, und der ganze Mist, und der Makel auf dir, und daß keiner dich danach noch heiraten würde.«
Sie zuckte nicht eigentlich vor ihm zurück, aber ihr Kopf und ihre Schultern wandten sich von diesem wenig vertrauten Menschen, diesem neuen Charlie weg. Charlie, der so ein angenehmer Kumpel gewesen war, so freundlich, auch wenn er sich oft nicht richtig ausdrücken konnte. Außerdem war Peggy erstaunt darüber, daß seine Mutter über solche Dinge mit ihm gesprochen haben sollte. Aber schließlich war ja ihre Tante May ein ausgesprochen offener, unverklemmter Mensch, eben anders als die anderen. Und jetzt wandte sich Charlie von ihr ab, bückte sich und klemmte die Luftpumpe in die Halterung am Fahrradrahmen. Den Charlie von vorher erkannte sie wieder, als er sich ihr erneut zuwandte und ganz gelassen sagte: »Ich hätte dich geheiratet, das weißt du doch, todsicher. Du hättest bloß warten müssen.«
»Ach, Charlie, wir waren doch zusammen wie Bruder und Schwester.«
»Ja. Aber wir sind nicht Bruder und Schwester, oder?«
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