Die Frauen von Clare Valley
aber mit Worten. Sie konnte es fast hören. »Ach was, Holly übertreibt. Sie ist ein wenig überdreht. Das Einzige, worüber hier gestritten wird, ist, wohin wir mit den Mädchen während der Feiertage fahren!«
Vielleicht würde sie June auch nicht fragen. Als sie sah, wie aufgeregt ihre kleinen Schwestern waren, wie sie drängten und alles wissen wollten, dachte sie, dass vielleicht nur eines wichtig war. Dass Junes Besuch, wenn auch nur vorübergehend, etwas bewegt hatte.
Belle wandte sich an Holly. »Ist es schlimm, wenn wir dieses Jahr nicht in das Valley Motel fahren, Holly? Vielleicht im nächsten Jahr? Die Lady mit den E-Mails hat doch sicher nichts dagegen, oder?«
Holly fuhr ihrer kleinen Schwester durch das Haar. »Natürlich nicht. Nicht, wenn wir ihr freundlich erklären, dass wir stattdessen nach Florida fahren.«
»Ich glaube, wir fahren ins französische Disneyland, nicht nach Florida«, sagte ihre Mutter.
»Das in Florida soll aber besser sein«, entgegnete ihr Vater.
»Ach, bist du Disneyland-Experte?«
»Es ist das älteste und größte.«
»Aber wenn wir ins französische Disneyland fahren, könnten wir in Paris übernachten. Uns den Eiffelturm ansehen.«
»Mitten im Winter. Da ist es doch eiskalt. In Florida ist es deutlich wärmer.«
»Aber der Flug dauert länger.«
»Große Güte, die zwei Stunden. Das ist doch albern. Was machen denn …«
»Aufhören! Hört sofort mit dem Streit auf!«
Alle drehten sich um. Nicht zu Holly. Zu Chloe. Das Lächeln war fort. Sie wirkte völlig verstört. »Bitte. Aufhören.«
»Wir streiten doch nicht, Chloe«, sagte ihre Mutter. »Wir diskutieren.«
»Ihr streitet. Und davon bekomm ich Bauchschmerzen. Und Belle auch.«
Holly stand auf. »Zeit zum Schlafen, Mädchen.« Sie kannte ihre Schwestern nur zu gut. Hier würden gleich Tränen fließen. »Na kommt. Ich deck euch zu.«
»Holly, kommst du bitte wieder herunter, wenn ihr fertig seid?« Das war keine Bitte. Das war ein Befehl. Von ihrer Mutter.
Holly nickte. Sie würde für ihre Offenheit bezahlen. Und wenn nicht an diesem Abend, dann später irgendwann. Doch als sie mit ihren Schwestern nach oben ging, wurde ihr noch etwas anderes bewusst. Es war ihr gleichgültig. Denn etwas war geschehen. Die Machtverhältnisse hatten sich, wenn auch nur leicht, verschoben. Zu ihren, Belles und Chloes Gunsten.
Sie würde im Anschluss nach unten gehen und sich ihren Eltern stellen. Und falls sie den Mut dazu fand, würde sie einiges erwidern. Aber zuerst gab es etwas anderes zu tun.
Während sich die Mädchen die Zähne putzten, schickte sie June eine Textnachricht. Danke .
Die Antwort kam umgehend. June hatte offenbar gewartet.
Jederzeit.
Kapitel 17
Lola saß in ihrem Zimmer und rang mit sich, ob sie Luke anrufen sollte. Es war schon vier Tage her, dass sie mit ihm über Alex gesprochen hatte, irgendetwas musste er doch längst herausgefunden haben! In solchen Momenten brach ihre ungeduldige Natur durch, und das nicht nur, weil Weihnachten vor der Tür stand. Wenn dies ein Film gewesen wäre, er hätte kein gutes Ende genommen. Vor Lolas geistigem Auge erschien ein Split Screen, zwei alte Menschen eilten auf einem Bahnhof oder Flughafen mit offenen Armen aufeinander zu, riefen sich, doch dann erlitt einer der beiden einen Herzinfarkt und fiel tot um. Sie waren alt. Viel Zeit blieb ihnen nicht.
Sie musste sich beschämt eingestehen, dass die Fantasie mit ihr durchging, seit sich die Möglichkeit aufgetan hatte, Alex zu finden. Sie malte sich alles Mögliche aus. Mal rief sie Jim, Geraldine und die Mädchen zusammen und verkündete: »Ich werde meine letzten Jahre in der Toskana verbringen, mit meinem sehr lieben, sehr alten und sehr attraktiven italienischen Geliebten.« Ein anderes Mal stellte sie sich vor, Alex käme nach Clare, die Gefühle würden augenblicklich wieder aufflammen, und schon zogen sie in ein charmantes, gemütliches Haus etwas außerhalb der Stadt, mit Blick über den See, drei Weinberge und die Rennbahn.
Was war denn mit ihr los? Das war schlimmer als Emily mit ihrer heimlichen Schwärmerei für Luke. Falls Alex überhaupt noch lebte, war er gesundheitlich vielleicht gar nicht in der Lage, nach Clare zu reisen. Oder er war mittlerweile bei Ehefrau Nummer zwei, drei oder vier angelangt. Obwohl – wenn Italien so katholisch wie einst Irland war, war eine Scheidung vermutlich schwierig. Vielleicht war er immer noch mit seiner ersten Frau zusammen und saß mit ihr, von Pasta
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