Die Frauen von Clare Valley
war immer noch im knitterigen Leinenanzug –, nur seine teuren italienischen Schuhe hatte er von sich getreten.
Holly sah ihre Eltern an. »Was ist denn? Was ist los?«
»Mach bitte die Tür zu, Holly.«
Ihre Eltern setzten sich. Holly blieb stehen. Sie schüttelte den Kopf, als ihr Vater auf das Sofa wies.
»Wir hatten heute Abend Besuch«, begann ihre Mutter.
Holly wartete.
»Von June. Deiner Chefin.«
»June? June war hier?«
Zweimaliges Nicken.
»Aber wieso?«
»Das wollen wir von dir hören. Was hast du ihr erzählt?«
»Nichts«, log sie rasch.
»Ach, wirklich? Das klang bei June aber anders. Was in diesem Haus geschieht, Holly, geht nur die Familie etwas an. Das ist allein unsere Angelegenheit.«
Sie waren nicht nur wütend. Sie bebten vor Zorn. Ihre Körpersprache, ihre Mienen, ihre Stimmen verrieten es.
Ihre Mutter sprach weiter, in eiskaltem Tonfall. »Vielleicht könntest du das in Zukunft beherzigen. Und vielleicht sagst du deiner Chefin mit ihrem unangemessenen Verhalten auch, dass wir es zwar sehr zu schätzen wissen, dass sie sich die Zeit genommen und uns an unsere elterlichen Pflichten erinnert hat, wir diese Familie aber auf unsere Weise lenken und uns von einer Person wie ihr zu gar nichts drängen lassen.«
Holly hätte so viel sagen können. Doch sie wagte nicht, auch nur einen Ton zu äußern.
Dann ergriff ihr Vater das Wort. »Deine June hat sich auch die Mühe gemacht, uns davon in Kenntnis zu setzen, dass ihr drei mit dem Gedanken spielt, über Weihnachten durchzubrennen. Das ist natürlich lachhaft, und das haben wir ihr auch kommuniziert.«
Holly fand die Sprache wieder. »Das stimmt.«
»Wie bitte?«
»Wir wollten durchbrennen. Wir wollten Weihnachten nicht hier sein.«
Ihre Eltern sahen sich an.
»Holly, setz dich«, sagte ihre Mutter. »Auf der Stelle.«
Holly hatte gerade Platz genommen, da flog die Tür auf. Erst rannte Belle ins Zimmer, dann Chloe. Belle lief gleich zu ihrer großen Schwester. »Holly, kannst du uns beim Suchen helfen? Wir finden …«
Ihre Mutter unterbrach sie. »Mädchen, ich habe doch gesagt …«
»Nein!« Holly war selbst überrascht, wie laut sie wurde. »Bitte, schick sie nicht weg.« Sie wollte ihre Schwestern bei sich wissen, während sie Atem schöpfte und versuchte, zu erfassen, was an diesem Abend vor sich ging.
»Es ist neun Uhr …«
»Bitte.«
Chloe und Belle nahmen Holly wie üblich in ihre Mitte.
Ihre Mutter setzte neu an und überspielte ihre Wut. Holly war der süßliche Tonfall so zuwider. »Also, Belle und Chloe, wie ich höre, habt ihr ein kleines Geheimnis. Plant ihr über Weihnachten eine heimliche Reise, ohne uns.«
Belle klappte der Mund auf. Chloe ebenso. »Wie habt ihr das herausgefunden?«
»Sagen wir, ein Vögelchen hat es uns geflüstert. Es hat uns eine ganze Menge geflüstert. Also haben wir ihm auch ein paar Dinge erzählt. Dass ihr nicht die Einzigen seid, die eine Weihnachtsüberraschung planen. Und darum fanden euer Vater und ich, es wäre gut, eine Familienkonferenz einzuberufen und sich die Überraschungen zu verraten.«
»Unser Geheimnis ist toll«, sagte Chloe, bevor Holly sie daran hindern konnte. »Weihnachten im Valley View Motel. Umsonst!«
»Und ohne uns?«, fragte ihre Mutter. »Würdet ihr uns nicht vermissen?«
»Ihr dürft ja mitkommen«, wandte Belle ernst ein. »Aber nur, wenn ihr nicht streitet und in Kartons schlaft.«
Holly sah wie gebannt zu ihren Eltern, die so taten, als würden sie lachen. Ihr kam es so vor, als wäre sie im Theater. »Und was ist eure Überraschung?«, fragte sie voller Argwohn.
»Sollen wir es ihnen verraten?« Ihr Vater sah zu seiner Frau. Sie nickte.
»Auch wir hatten für euch einen Weihnachtsausflug geplant.«
»Wirklich?«, sagte Belle
»Wohin denn?«, fragte Chloe.
Es gab eine kurze Pause.
»Disneyland«, sagte ihr Vater.
»Disneyland!« Die Mädchen rannten zu ihren Eltern, bestürmten sie mit Fragen. Wann, wo, wie?
Holly beobachtete auch diese Szene mit einem seltsam entfremdeten Gefühl, während ihre Eltern auf die Fragen von Belle und Chloe, so gut es ging, Antwort gaben. So gut es ging, wenn man auf die Fragen nicht vorbereitet war. Holly hätte alles darauf gewettet, dass ihre Eltern nichts und erst recht keine Reise nach Disneyland geplant hatten. Das war eine Folge von Junes Besuch. Garantiert.
Am nächsten Tag würde sie herausfinden, was geschehen war. Ihre Eltern hatten bestimmt versucht, June einzuschüchtern, nicht mit Gewalt,
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