Die Frauen von Clare Valley
Einkünfte waren längst bei der Bank. Hier standen doch bloß Stangen mit gebrauchten Kleidern und Regale mit alten Büchern und DVDs.
Und jede Menge technisches Gerät. Ein vollständiger Arbeitsplatz mit Rechner, Kamera, Farbdrucker, Scanner.
Lola hörte Stimmen.
Ihre Hände zitterten. Wer immer auch da draußen war, hatte den Zeitpunkt bewusst gewählt und rechnete nicht damit, dass irgendjemand im Laden war. Nicht an einem heißen, trägen Weihnachtsnachmittag. Aber woher sollten Außenstehende wissen, was es hier zu holen gab?
Noch im gleichen Moment fiel es ihr ein. Mrs Kernaghans Fernsehauftritt. Sie hatte am Computer gesessen und stolz ihre »Technik der allerneuesten Generation« demonstriert. So hatte sie es wortwörtlich formuliert. Niemand hätte auch nur im Traum daran gedacht, dass das Begehrlichkeiten wecken würde. Das war ein Wohltätigkeitsladen. Wer käme denn auf die Idee, da einzubrechen?
Die Stimme war nun direkt vor dem Fenster. »Jetzt mach schon, Mann.«
Sie musste sich verstecken. Sie konnte sich den Einbrechern nicht entgegenstellen. Früher, früher hätte sie das versucht. Sich irgendetwas geschnappt, einen Besen, einen Schirm, um die Diebe in die Flucht zu schlagen. Doch sie war alt. Gebrechlich. Wohin mit ihr? Was tun? Die Polizei rufen? Die Zeit blieb nicht mehr. Lola konnte sie jetzt beide sehen, zwei junge Männer auf dem Hof. Sie versuchten, die Hintertür aufzubrechen.
Sie hatte höchstens noch eine Minute. Schnell, Lola, schnell. Denk nach. Die Umkleidekabine. Die hatte eine Tür, einen Riegel. Und diese Kerle waren überzeugt, dass im Laden niemand war. Sie würden nicht einmal nachsehen, oder?
Aber falls diese Kerle sie trotzdem fanden, sie würden ihr doch nichts antun, oder?
Lola eilte in die Umkleidekabine und schloss die Tür. Sekunden später flog die Hintertür auf und krachte gegen die Wand. »Verdammte Scheiße. Sei doch nicht so laut!«, schimpfte eine Männerstimme. Die gleiche? Eine dritte? Waren es etwa mehr als zwei?
»Mensch, sieh dir das an. Das muss ein Vermögen wert sein.«
»Das werden wir ja rausfinden«, sagte der andere.
»Der läuft noch.«
»Dann zieh den Stecker raus.«
»Da ist auch noch ’ne Handtasche.«
»Dann schnapp sie dir.«
Lola zitterte immer heftiger. Wieso hatte sie ihre Handtasche stehen lassen? Mitsamt ihrem Handy. Ihrer Kamera. Dem Wagenschlüssel. Dem Ladenschlüssel. Den Motelschlüsseln. Fast hätte sie gerufen: Nein, bitte, nicht die Schlüssel! Doch sie verhielt sich ruhig. Hielt den Atem an. Die Einbrecher waren ebenfalls ruhig. Beschäftigt. Lola hörte, wie der Computer abgebaut, in Kartons gesteckt wurde. Wie Kartons über den Boden schleiften. Die restlichen Kartons der Weihnachtsaktion. Dann wurden die Hintertür, das Tor geöffnet, geschlossen, wieder geöffnet, es ging hinein und hinaus. Sie waren schnell. Konzentriert. Geht, haut ab, verschwindet. Nehmt euch ruhig alles, aber geht, geht endlich …
Dann kam einer der Männer zurück in den Laden. Auf einer Stange wurden Drahtbügel beiseitegeschoben. Die Kasse wurde geöffnet. Das vertraute Ping ließ Lola wieder zittern. Der Einbrecher war keine zwei Meter von ihr entfernt. Geh, geh, geh endlich, bitte, geh endlich …
»Scheiße, Mann. Komm da raus. Dich sieht noch jemand.«
»Es ist Weihnachten. Und kein Mensch auf der Straße. Ich brauch neue Klamotten. Nun warte die Minute.«
»Das ist Secondhand-Scheiß. Komm endlich.«
Lola zitterte so heftig, dass ihr die Zähne klapperten. Das mussten diese Kerle doch hören! Aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie zitterte am ganzen Leib. Sie hatte solche Angst. Solche Angst, diese Männer könnten sie entdecken. Angst vor dem, was sie ihr antun würden. Sie begann zu beten, zu Gott, zu Maria, dem Jesuskind, allen Heiligen, ihren Eltern, ihrem Exmann, jedem, der ihr in den Sinn kam. Helft mir, helft mir, helft mir. Geht, bitte geht. Geht. Verschwindet. Nehmt euch alles mit. Aber geht jetzt endlich. Dann wurde die Hintertür zugeknallt. Im Hof schlug quietschend etwas zu. Das Tor. Es war stabil, aus Eisen. Die Männer hatten es wohl gewaltsam aufgebrochen und wieder geschlossen. Einen Augenblick später fuhr ein Auto los. Mit einem lauten Auspuff.
Erst zehn Minuten später konnte sich Lola wieder rühren. Noch einmal fünf Minuten später hatte das Zittern in den Händen so weit nachgelassen, dass sie den kleinen Riegel an der Umkleidekabine öffnen konnte. Wenn einer der Einbrecher gekommen wäre, nur ganz
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