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Die Frauen von Clare Valley

Die Frauen von Clare Valley

Titel: Die Frauen von Clare Valley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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Globo in die Hand gedrückt hatte.
    »Du bist unser Dad. Es ist unsere Pflicht, dich zu verhätscheln.«
    Nun zog es ihn zum Kühlschrank. Er legte den iPod beiseite und sah sich um. Kaum zu fassen, dass es mehr oder weniger direkt an ihm lag, dass sich all diese Menschen so verschiedener Herkunft heute hier versammelt hatten, hier in Melbourne. Die Vorstellung überwältigte ihn bisweilen. Irgendwann hatten seine Töchter und Schwiegersöhne gezählt. Neun, neun Länder waren in seiner Familie vertreten. Italien selbstverständlich durch ihn und seine Vorfahren. Und seine Frau, Gott hab sie selig. Ab da aber hatten sich die Lombardis internationalisiert. Seine älteste Tochter, in Italien aufgewachsen, war nach dem Studium gereist und hatte in Frankreich einen Mann kennengelernt, der dort Weinbau studierte, einen Australier ungarischer und spanischer Abstammung. Seine zweite Tochter hatte es zwar nicht in die Ferne gezogen, doch sie hatte einen Schweden geheiratet, den es beruflich in ihre Gegend verschlagen hatte. Sein Vater stammte aus Stockholm, seine Mutter war Deutsche. Der Trend hatte sich in der nächsten Generation fortgesetzt. Seine älteste Enkelin, halb Italienerin, halb Australierin, vom Akzent her durch und durch Australierin, war mit einem Vietnamesen zusammen, den sie an der Universität kennengelernt hatte. Sein Enkel war mit einer Neuseeländerin verlobt. Und irgendwie waren sie alle, alle Zweige dieser großen Familie, hier in Melbourne gestrandet, keine zwanzig Kilometer voneinander entfernt. Da schlägt das Italienische durch, sagte seine Tochter immer. Wir halten zusammen. Die Familie geht über alles.
    Niemals hätte er gedacht, als er vor so vielen Jahren nach Italien zurückgekehrt war, dass ihn das Leben noch einmal hierherführen würde. Ihm war oft, als hätte er vier Leben. Vierundzwanzig Jahre in Italien. Zehn in Australien. Vierzig Jahre wieder in Italien. Und nun erneut Australien.
    Seine Tochter Rosie, mittlerweile Anfang fünfzig, war mit ihrem australischen Weinbauern gleich nach der Hochzeit hergezogen. Ihre beiden Kinder waren hier geboren. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie ihren Vater bestürmt herzuziehen. »Bitte, Papa, noch bist du jung genug. Irgendwann wirst du zu alt sein, um hier das Leben zu genießen. Du hast dich in Australien doch so wohlgefühlt, oder? Und das wirst du wieder tun.«
    Er hatte sich sehr wohlgefühlt. Diese Zeit, sie war voller Erinnerung. Glückliche. Traurige. Und wertvolle. An seine Arbeit, an neue Orte. An Menschen, die ihm begegnet waren. An eine Frau, die er geliebt hatte.
    In den vergangenen Monaten hatte er oft an jene Tage denken müssen. Seine Tochter hatte mit ihm einen Ausflug nach Brighton unternommen, und als sie in einem der Strandcafés eingekehrt waren, war die Erinnerung zurückgekehrt. Fast hätte er mit Rosie über diese Zeit gesprochen. Doch er wusste, seinen Töchtern gefiel die Vorstellung, dass er vor ihrer Mutter andere Frauen gekannt hatte, nicht.
    War dieses Leben in der Vergangenheit ein Symptom des Alters oder ein sanfter Hinweis darauf, dass das Ende nahte? Hoffentlich nicht. Er war erst dreiundachtzig. Er ernährte sich gesund, trieb Sport und arbeitete, wann immer es ging, im Garten. Gut möglich, dass noch ein ganzes Jahrzehnt vor ihm lag, falls ihn nicht ein plötzlicher Herzstillstand oder Autounfall ereilte.
    Oder er verdurstete. Seine Tochter stand lachend an der Küchentheke, ein Glas in der einen, das Salatbesteck in der anderen Hand. Er griff nach dem Stock, den er nun immer häufiger benötigte, und bewegte sich zum Kühlschrank.
    Das entging seiner Tochter nicht. »Papa! Du bist aus der Küche verbannt. Zurück in deinen Sessel.«
    »Aus der Küche, ja, aber nicht vom Kühlschrank. Ein Glas Wasser wirst du mir doch gönnen, oder?«
    »Oh Gott, das hab ich ganz vergessen. Tut mir leid. Warte, ich hol es dir.«
    Er berührte sanft ihre Wange. »Ich kann mir selbst ein Wasser holen, Cara .«
    An der Kühlschranktür hingen Postkarten, Zettel, Arbeitspläne, die Öffnungszeiten des Schwimmbads, befestigt mit farbigen Magneten. Als er die Tür öffnete, fiel ein Magnet ab. Es regnete Papier.
    Er bückte sich, doch seine Töchter waren schneller. Immerhin gelang es ihm ohne großes Ächzen, zwei der Zettel aufzuheben. Er heftete sie mit großer Geste wieder an den Kühlschrank und verbeugte sich zum Scherz, als ihm die Frauen allzu überschwänglich gratulierten. Anscheinend sah seine Familie in ihm so etwas wie ein

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