Die Frauen von Clare Valley
als er seine ersten Handwerksjobs bekommen hatte, und noch stolzer, als er vor zwei Jahren in den Sommerferien nach Hause gekommen war und ihr zur Freude das alte Sofa neu aufgepolstert hatte. Sie hatte sich aufgeführt, als hätte er das ganze Haus neu ausgestattet. »Ich hab doch bloß ein Sofa repariert. So was mach ich täglich. Das ist mein Job.«
»Es ist wunderschön, Neil, wirklich.«
Sie war so glücklich gewesen. So stolz. Aber er konnte keine Rücksicht auf sie nehmen. Sie würde es verstehen. Sie musste es verstehen. Ihr würde gar nichts anderes übrig bleiben. So wie ihm. Er musste durchziehen, wozu er sich entschieden hatte. Er war es alles so leid.
Er checkte seine E-Mails und runzelte die Stirn. Eine neue Nachricht, schon wieder von diesem Motel, von dieser Lola Quinlan, die nach seinem Lieblingsessen, Lieblingsgetränk, Alter und Beruf fragte. Verdammte Scheiße – gab es denn keine anonymen Buchungen mehr? Wen interessierten seine Vorlieben? Als ob er sich mit den anderen Gästen zum Essen hinsetzen, Kracher aufreißen, Witze erzählen und mit Wildfremden Jingle Bells singen würde! Er wollte einfach in den Bus steigen, losfahren, sich in seinem Zimmer einbuchen und dann seine Ruhe haben, damit er tun konnte, was er tun wollte. Das war besser für ihn, für die anderen, für alle. Auf dann. Auf Wiedersehen. Auf Nimmerwiedersehen.
Als er wieder auf die E-Mail sah, wurde er von neuer Wut gepackt. Noch jemand, der rumnervte, der was von ihm wollte. Sein Mitbewohner und seine Mutter waren schlimm genug. Er klickte auf »Löschen«. Vergiss es. Er würde irgendwo anders hinfahren, wo ihn keiner ausfragte.
Dann fiel ihm ein, dass es umsonst war.
Er öffnete den Papierkorb und holte die E-Mail zurück. Wenn er nicht in dieses Motel fuhr, musste er sich ein anderes suchen. Womöglich eine Anzahlung leisten, mit Geld, das er nicht hatte. Der größte Teil seines Arbeitslosengelds war bereits ausgegeben. Spielte es eine Rolle, was er schrieb? Er hatte sowieso nicht vor, dort irgendwas zu essen und zu trinken.
Er antwortete mit einer Zeile. Keine Vorlieben . Dann schickte er die E-Mail ab.
Rick rief ihm von draußen etwas zu, dann fiel die Tür ins Schloss. Gut. Endlich wieder allein.
Gäste 2 und 3
Tony und Helen stritten sich seit zehn Minuten. Helen hatte den Fehler gemacht, ihm von der E-Mail zu erzählen, die das Clare Valley Motel am Nachmittag geschickt hatte. Sie hatte die Fragen in ihrer beider Namen beantwortet und sofort abgesandt. Beeindruckend, wie organisiert diese Lola Quinlan war. Helen hatte Tony nur davon erzählt, weil sie gehofft hatte, dass er sich ein bisschen begeistern ließe. Stattdessen hatte er bekräftigt, dass er nicht fahren würde.
»Warum nicht?«, fragte sie erneut.
»Hab ich dir gesagt. Darum.«
»Das ist kein Grund. Warum nicht?«
»Wir können uns das nicht leisten. Das Geschäft ist dieses Jahr nicht gut gelaufen, wie du weißt.«
»Aber es ist umsonst , Tony. Das hab ich dir doch letzte Woche schon gesagt, ich hab bei einem Glücksspiel gewonnen. Ich habe dir die E-Mail doch gezeigt. Die Ausrede gilt nicht.«
»Wir müssen immer noch für die Mahlzeiten bezahlen.«
»Notfalls pack ich Sandwiches ein. Und fahre ohne dich.«
Er zuckte mit den Schultern.
Das war der Auslöser. Helen brach in Tränen aus. Es war das erste Mal seit dem Ereignis, dass sie vor seinen Augen weinte. Doch nun, da sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören. Tony rührte sich nicht. Er sah sie nur an, entsetzt, aber er rührte sich nicht vom Fleck.
Schließlich gelang es ihr, sich wieder zu beruhigen. Mit barscher Geste wischte sie die Tränen fort. Endlich hatte sie seine Aufmerksamkeit. Das musste sie ausnutzen. Sie musste mit ihm sprechen, irgendwie zu ihm durchdringen. »Ich kann nicht mehr, Tony. Ich habe versucht, Geduld zu zeigen. Dir die nötige Zeit, den nötigen Raum zu geben, Verständnis, alles. Aber was ist mit mir, Tony? Was ist mit uns?« Nun strömte alles aus ihr heraus, ihr Schmerz und ihre Verzweiflung drängten das Mitleid in den Hintergrund. »Du machst dir mehr Gedanken um diesen Mann als um mich, deine Frau, oder deine Kinder. Geht es dir besser, wenn du dich Tag für Tag in deinen Schuldgefühlen suhlst? Oder irgendeinem anderen? Nein, Tony. Das führt zu überhaupt nichts Gutem, es hindert dich nur daran zu feiern, dass du lebst, und es ist eine Strafe für jeden, der in deiner Nähe lebt.«
»Helen, das letzte Jahr war für mich die
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