Die Frauen von Clare Valley
ist die technologische Verlängerung meiner Hand. Aber nur für den Fall, meine Freundin hat gesagt, dass der Empfang da oben manchmal schlecht ist, und außerdem soll es schneien, also macht euch keine Sorgen, falls ihr mich nicht erreicht, ich werde mich notfalls durch Schnee und weite Felder kämpfen, um irgendwo Empfang zu haben. Kommt nicht infrage, dass ich Weihnachten nicht mit euch spreche. Jetzt muss ich zur Arbeit, Mum, bin spät dran.
Hab dich lieb. xxx
Ich dich auch, xxx , schrieb Helen zurück.
Selbst nach diesem so kurzen E-Mail-Austausch ging es ihr besser. Besser, aber noch nicht gut genug. Wie schön wäre es, wenn beide Kinder sie überraschen, mailen oder anrufen und sagen würden, dass sie es sich anders überlegt hätten, dass sie auf ein Weihnachten im Büro und englischen Landhaus verzichten und nach Hause kommen würden, um ein richtiges australisches Weihnachtsfest mit der Familie zu verbringen, und könnten Helen und Tony sie bitte Heiligabend am Flughafen abholen …
An der Stelle brach sie ihren Tagtraum ab. So viel zum Thema Selbstsucht! Sie konnte doch nicht allen Ernstes verlangen, dass ihre erwachsenen Kinder ihre Unabhängigkeit aufgaben, um ihr Gesellschaft und Lebensfreude zu bescheren. Das war das Empty-Nest-Syndrom, verschlimmert durch die Geschehnisse um Tony. Sie musste sich zusammenreißen, weitermachen, irgendwie noch mehr Geduld, noch mehr Verständnis aufbringen. Es half nicht, wenn sie und Tony ständig stritten, wenn sie …
»Helen?«
Sie fuhr herum. Tony stand auf der Schwelle.
»Es tut mir leid.«
Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er sich entschuldigte. Sie war so fassungslos, dass sie kein Wort herausbrachte.
»Du hast recht«, sagte er und kam ins Zimmer. »Ich muss nach vorne schauen. Es ist nur … Ich wünschte nur …«
Er fing an zu weinen. Zum ersten Mal seit der Geburt ihrer Kinder heulte ihr erwachsener, fünfunddreißigjähriger Mann vor ihren Augen. Sie zögerte keine Sekunde. Sie stand auf, nahm ihn in den Arm, tröstete ihn, strich ihm über das Haar, hielt ihn ganz fest.
»Es tut mir leid, Helen«, sagte er immer wieder. »Es tut mir so leid.«
»Ist schon gut, Tony, schon gut. Es ist alles gut.« Immer wieder, immer wieder dieselben Worte, bis das Weinen nachließ, sein Atem sich beruhigte.
»Ich wünschte nur …« Erneut brach er ab.
»Dass alles anders wäre?« Sie sprach sehr sanft.
Er nickte.
Sie schloss ihn wieder ganz fest in die Arme. Ja, auch sie wünschte, dass alles anders wäre. Besonders für Bens Familie. Wenn sie und Tony Weihnachten schon schwierig fanden, wie um alles in der Welt musste es seiner Familie ergehen? Doch dies war nicht die Zeit, das Thema Tony gegenüber zu erwähnen.
Er trat ein wenig zurück. Sie wischte ihm eine Träne von der Wange. In diesem Moment wusste sie absolut sicher, dass sie ihn noch liebte.
Er sprach mit weicher Stimme. »Wenn du wirklich über Weihnachten wegfahren willst, dann fahren wir.«
»Was willst du denn?«
Er hob schon wieder die Schultern, setzte zu dieser schlichten, so verletzenden Geste an, diesem körperlichen Ausdruck seiner Gleichgültigkeit. Er hielt inne, dann reckte er ein wenig die Schultern. »Ich würde es gern dort versuchen. In dem Motel. Vielleicht tut uns das gut.«
Es war ein kleiner Schritt, doch es war ein erster Schritt. »Danke, Tony.« Mehr musste sie nicht sagen. Noch nicht.
»Soll ich dir ein Glas Wein holen, Liebes?«, fragte er. »Eine Tasse Tee?«
»Ein Tee wäre schön, danke.«
Sie schaltete den Computer aus und folgte ihrem Mann in die Küche.
Gast 4
Auf dem Weg in ihr Büro musste sich Martha unter allerlei baumelndem Weihnachtsschmuck hinwegducken. Wenn es nach ihr ginge, würde so etwas vom Arbeitsplatz verbannt. Es war schon schwer genug, im Dezember Motivation und Produktivität aufrechtzuerhalten. Jedes Mal, wenn sie an einem Schreibtisch vorüberging, schnappte sie Gesprächsfetzen über Urlaubspläne, Überraschungsgeschenke und Weihnachtsfeiern auf. Es war nicht schön, sich wie Charles Dickens’ grantiger Scrooge zu fühlen und leise »Bah, Humbug« zu murmeln, aber noch ein Satz über Weihnachten und sie würde schreien.
Selbst ihre Aushilfssekretärin, die an diesem Morgen ihren Dienst angetreten hatte, war entsprechend eingestimmt. Sie war in den Fünfzigern und in Aussehen und Manieren ziemlich altbacken. »Und, werden Sie über die Weihnachtstage zu Ihrer Familie fahren, Miss Kaminski?«
»Nein«, hatte Martha
Weitere Kostenlose Bücher