Die Frauen von Clare Valley
weil hier alles mit so vielen schönen Erinnerungen an Anna verbunden ist. Es erschien uns richtig, an dem Ort zu sein, an dem sie ihre letzten Tage verbracht hat, bei ihrem Grab … Es hat uns beiden geholfen, das weiß ich. Aber im letzten halben Jahr, Lola, hat sich etwas verändert. Für Geraldine noch stärker als für mich. Es macht sie nur noch trauriger. Sie denkt jeden Tag an Anna.«
»Das wird sie immer tun, ganz gleich, wo sie ist.«
»Sie braucht einen Neuanfang. Eine neue Umgebung. Wir werden nach einem neuen Geschäft Ausschau halten, wenn wir über Weihnachten durch South Australia touren. Vielleicht im Riverland. Oder in den Adelaide Hills. Wo genau, wissen wir noch nicht. Möglichst nahe an Clare, aber weit genug, damit es sich anders anfühlt.«
»Hast du es den Mädchen schon gesagt?«
»Noch nicht.«
»Musst du erst klären, was ihr mit der alten Schachtel macht?«
»Mum, bitte.«
Er nannte sie nur selten Mum. Und wenn, dann war er wirklich aufgewühlt.
Lola setzte sich kerzengerade hin. »Dann lass uns Klartext reden, Jim, okay? Geraldine hat nicht vor, mich zu bitten, mit in das neue Motel zu ziehen, oder?«
»Natürlich wärst du willkommen. Du bist doch meine Mutter.«
»Jim, sag mir die Wahrheit. Wäre es ihr lieber, wenn es nur ihr beide wärt?«
Ein Nicken. Dann wieder eine Flut an Worten. »Wir denken an ein kleines Bed and Breakfast. Vielleicht nicht einmal mit Restaurant, nur Frühstück. Wir werden auch nicht jünger. Wir wollen ein wenig kürzertreten. Noch einmal für ein paar Jahre ein Haus übernehmen, und dann ernsthaft an den Ruhestand denken. Ich bin schließlich auch fast fünfundsechzig.«
»Mein kleiner Jim, nicht zu fassen.« Sein besorgter Ausdruck erweichte ihr Herz wieder. Es war nicht seine Schuld, dass er so eine blöde Kuh geheiratet hatte. »Darling, danke, dass du so aufrichtig warst. Und so direkt. Aber die Zeit drängt nicht, oder? Ihr wollt nicht schon vor Weihnachten die Zelte abbrechen?«
»Nein, natürlich nicht. Wir reden von sechs Monaten. Vielleicht bringen wir das Motel im neuen Jahr auf den Markt.«
»Also bleibt mir Zeit für ein letztes Weihnachten hier?«
»Aber natürlich! Und wenn du willst, sagen wir unseren Urlaub ab. Ich bin sicher, Bett und Carrie täten das ebenfalls. Wir könnten hier ein letztes Mal Weihnachten mit der Familie feiern. Hattest du das im Sinn?«
»Nein!«
Ihre Heftigkeit schockierte ihn sichtlich.
»Nein, Darling, natürlich nicht. Ein paar ruhige und friedliche Weihnachtstage sind genau, was ich brauche, um mit Muße meine nächsten Schritte zu bedenken. Vielleicht ein Altersheim in Clare. Oder ich werfe eine Münze, um mich zwischen Carrie und Bett samt Babys zu entscheiden. Da kommt es auf eine weitere Rotznase und dreckige Windel ja nicht an.«
»Lola!«
»Ich scherze bloß.« Sie beugte sich vor und tätschelte seine Hand. »Ich bin so froh, dass das endlich offen auf dem Tisch liegt. Und über meine Lippen kommt kein Wort, das verspreche ich.« Sie legte einen Finger auf den Mund. »Ich werde es nicht einmal Geraldine gegenüber erwähnen. Das bleibt unser Geheimnis.«
»Danke, Mum.« Jim blieb an der Tür stehen und drehte sich noch einmal um. »Darf ich dich noch etwas fragen?«
»Sicher.«
»Wozu diese Liste?«
»Liste?«
»Besagte Liste namens ›Lolas Geheimnis‹. Geht es da wirklich um deine Vorlieben?«
Lola rang sich, so gut es ging, ein strahlendes Lächeln ab. »Nun hast du es verdorben. Sie war für dich gedacht als Hinweis zu Weihnachten. Nun bekomme ich wohl wieder Badesalz.«
Jim schüttelte den Kopf und ging mit einem Lächeln fort.
Lola behielt ihr Lächeln im Gesicht, bis ihr Sohn außer Sichtweite war. Dann trat sie zurück und schlug mit Macht die Tür zu. In der Hoffnung, dass Geraldine das hörte.
Kapitel 7
Gast 1
Neil hatte das Haus seit einer Woche nicht verlassen. Das war nicht ungewöhnlich. Wozu vor die Tür gehen? Wozu überhaupt noch irgendetwas tun?
Es klopfte an die Tür. »Neil?«
Es war sein Mitbewohner Rick. Er ignorierte ihn.
»Neil, deine Mutter ist schon wieder am Telefon!«
Er gab noch immer keine Antwort.
Ein heftigeres Klopfen, beinahe ein Dröhnen. »Neil! Verdammt, Mann, du kannst doch nicht ewig da drinbleiben.«
Das hatte er auch nicht vor.
Ein weiteres Klopfen. »Du bist nicht der erste Mensch auf der Welt, der Job und Freundin verliert. Jetzt komm, Mann. Reiß dich zusammen. Deine Mutter macht sich echt Sorgen.«
Er reagierte nicht. Wenn er
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