Die Frauen von Clare Valley
an dir, Neil, sondern an mir. Ich möchte reisen, die Welt sehen, mich noch nicht festlegen. Du nimmst mir das mit uns zu ernst.« Er hatte sie angefleht. Umsonst. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Dann triff eine andere, hatte er gedrängt. Bitte. Doch sie hatte nicht auf ihn gehört, ganz gleich, wie oft er sie bedrängt, wie oft er angerufen hatte. Sie war doch das einzig Gute in seinem Leben, hatte er gesagt. Was stimmte. Kein Job, kein Auto, kein Sport – sie war alles, was er hatte. Dann hatte er es mit einer anderen Taktik versucht, ihr Briefe, E-Mails geschrieben. Könnte er nicht mit auf Reisen gehen? Es musste ja nicht so ernst mit ihnen sein. Er konnte die Dinge lockerer sehen, versprochen, aber konnten sie nicht wenigstens zusammenbleiben? Er konnte ohne sie nicht leben.
Danach war sie nicht mehr ans Telefon gegangen, hatte keine E-Mail oder SMS mehr beantwortet, ganz gleich, in welchen Mengen und wann er sie ihr schickte. Eines Abends war er zu ihr gegangen, in einem letzten, verzweifelten Versuch. Ihre Mitbewohnerin hatte ihm mit beinharter Miene die Tür geöffnet. »Du kommst zu spät«, hatte sie gesagt und dabei fast erleichtert geklungen. Seine Exfreundin war am Tag zuvor nach London geflogen. »Du brauchst Hilfe«, hatte das Mädchen noch gesagt und ihm die Tür vor der Nase zugeknallt.
Dann hatte sein Mitbewohner begonnen, an ihm rumzumäkeln. »Du bist in letzter Zeit so ernst, Mann. Sei mal locker.«
Seine Mutter meldete sich viel zu häufig. Er hatte den Fehler begangen, sie eines Abends anzurufen. Er hatte getrunken und ihr alles von der Trennung und der Kündigung erzählt und auch, dass ihm das Geld ausging. Sie hatte wieder mit einem Besuch gedroht. Er hatte darauf bestehen müssen, dass sie wegblieb. Das müsse er allein regeln. Am nächsten Tag war ein Scheck eingetroffen, per Eilpost. Mit einer Nachricht. Seine Mutter war offenbar zu dem Schluss gelangt, sein einziges Problem wäre ein gebrochenes Herz. Wenn es so einfach wäre. »Du wirst jemand Neues kennenlernen«, hatte sie geschrieben. »Andere Mütter haben auch schöne Töchter. Mach dich nicht verrückt. Du bist doch noch so jung.«
Klar. Don’t worry, be happy. Es gab in seinem Leben ja so viel, was ihn happy machte, wofür es sich zu leben lohnte, das Leben war ja voller Wunder.
Bullshit. Wie hieß es in einem anderen Song? Life’s hard and then you die. Doch wenn man das nicht wollte, wenn man kein mieses Leben führen und das bis zum Ende durchhalten wollte, wenn man sich nicht Tag für Tag durchs Leben schleppen wollte, dann unternahm man etwas, oder? Brachte man es selbst zu Ende.
Was war die Alternative? Einen neuen Job finden und den auch verlieren? Eine neue Freundin, die einen auch verlässt? Den ganzen Schmerz noch mal erleben? Vergiss es. Wozu? Warum nicht sterben, bevor das Leben immer mieser wurde?
Er hatte gründlich recherchiert. Er hatte viele Stunden im Web verbracht. Und sich dann entschieden. Für Tabletten. Schnell und schmerzlos. Kein Blut, keine Waffe. Es gab unzählige Webseiten mit Erläuterungen. Dann hatte er einen Ort gewählt. Ein Motel, ja, das wäre gut. Er wollte es nicht hier im Haus tun. Das zumindest war er Rick schuldig. Er hatte das Motel willkürlich ausgesucht – die Stadt, das Motel, die Daten, alles. Erst nachdem er die Anfrage abgeschickt hatte, war ihm aufgefallen, welches Datum er gebucht hatte. Weihnachten. Ho ho ho.
Als dann Momente später eine Antwort kam, in der stand, sein Aufenthalt sei umsonst, weil er ein Online-Glücksspiel gewonnen habe, nahm er das als Zeichen. Es sollte alles wohl so sein. Und wenn das Motel umsonst war, würde es hinterher auch keine Szenen wegen der Bezahlung geben, würde man seine Mutter auch nicht mit der Rechnung behelligen. Einen Abschiedsbrief wollte er ihr schreiben, ihr alles erklären. Er hatte sich schon mehrfach daran versucht. Sie sollte wissen, dass es nicht ihre Schuld war. Es hatte nichts mit ihr als Mutter zu tun, mit der Tatsache, dass sich seine Eltern vor Jahren hatten scheiden lassen. All das spielte keine Rolle mehr. Alle, die er kannte, kamen aus einem zerrütteten Zuhause. Nein, das war kein guter Ausdruck. Sein Zuhause war nicht zerrüttet. Seine Mutter hatte alles für ihn und seine kleine Schwester getan. Ihnen fast jeden Tag gesagt, wie sehr sie ihre Kinder liebte. Sie hatte eher etwas zu dick aufgetragen. Das war einer der Gründe, warum er sich damals entschieden hatte auszuziehen. Sie war so stolz gewesen,
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