Die Frauen von Clare Valley
gesagt. »Und nennen Sie mich bitte Martha.«
»Ich fürchte, das geht nicht. Ich bin eine Sekretärin alter Schule. Stammen Sie aus Melbourne?«
»Nein.«
»Die jungen Leute in Ihrem Alter ziehen heutzutage ständig um. Ich bewundere das. Woher stammen Sie, wenn ich fragen darf?«
»Wenn Sie so fragen, nein, dürfen Sie nicht. Und könnten wir bitte mit den Briefen weitermachen?«
Martha seufzte innerlich, als sich auf den Wangen ihrer Aushilfe zwei glühend rote Flecken abzeichneten. Wie hieß die Dame noch gleich? Gwenda, Brenda … Glenda! Martha lenkte das Gespräch wieder auf das Berufliche und lud der älteren Dame so viel Arbeit auf, dass sie nicht nur den Nachmittag, sondern auch den nächsten Tag beschäftigt wäre.
Sie hatte nicht vor, sich für ihren Tonfall zu entschuldigen, obwohl Glenda sichtlich verstimmt war. Was hatte sie denn erwartet? Dass sich Martha in ihrem Stuhl zurücklehnen, die Füße auf den Schreibtisch legen und ihr das Herz ausschütten würde? »Natürlich dürfen Sie fragen, Glenda. Ich komme aus Brisbane. Mein Vater, der ursprünglich aus Polen stammt, hat dort einen Möbelimport betrieben, meine Mutter, deren Eltern aus der Ukraine stammen, hat dort die Filiale eines Stoffgeschäfts geleitet. Ich bin die Älteste von dreien, ein Bruder, eine Schwester. Und seit drei Jahren, seit ich mit meinem Vater an Heiligabend einen mehr als heftigen Streit hatte, habe ich den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen. Also, nein, ich denke nicht, dass ich dieses oder in einem der kommenden Jahre zu meiner Familie fahren werde. Im ersten Jahr habe ich Weihnachten allein zu Hause verbracht, im Jahr darauf war ich in einem furchtbaren und noch dazu furchtbar teuren Resort und kann zu keiner der beiden Optionen raten. Dieses Jahr fahre ich in ein Städtchen in South Australia, von dem ich noch nie gehört habe, in irgendein Motel, das sich entweder als Drecksloch oder ländliches Idyll entpuppen wird, und es ist mir, ehrlich gesagt, auch völlig egal, weil ich sowieso meinen Laptop mitnehmen und sehr viel arbeiten werde. Außerdem will ich ab dem zweiten Weihnachtstag ohnehin wieder an meinem Schreibtisch sitzen. Worum es bei dem Streit gegangen ist? Ich werde mich, wenn es Ihnen nichts ausmacht, nicht in allen Details ergehen, aber so viel kann ich sagen – er hat eine halbe Stunde gedauert, und währenddessen wurde viel geschrien, und ich bin immer noch der Meinung, dass mein Vater kein Recht hatte, sich auf diese Weise über meine Firma und mein Leben zu äußern. Und es hat mir nicht gepasst, dass die anderen da auch noch ihre Nasen reingesteckt haben. Und, ja, ich bin Ende dreißig und immer noch Single, und, nein, ich habe keine Wohnung voller Katzen. Und, bitte, tun Sie sich keinen Zwang an, erzählen Sie das ruhig all Ihren Kollegen.«
Martha war versucht, Glenda zurückzurufen und ihr diesen Vortrag Wort für Wort zu halten. Sie anzuweisen, die Informationen an alle weiterzugeben. Dann hätte das Rätselraten endlich ein Ende. Natürlich waren alle furchtbar neugierig, was ihr Privatleben betraf. Sie hatte die Gespräche oft genug gehört. Sie wusste auch, dass sie bei ihren Mitarbeitern nicht beliebt war. Der Drache, hatte einer sie genannt. Er hatte nicht gemerkt, dass Martha hinter ihm den Flur entlanggekommen war. Der hatte ein Gesicht gemacht! Ein Anblick für die Götter. Dabei war ihr so etwas völlig einerlei. Dies war ein Arbeitsplatz, kein Strickzirkel. Wenn sie Freunde wollte, tja … Wenn sie weniger arbeiten würde, hätte sie auch Zeit für Freunde. Doch sie hatte sich vor vielen Jahren entschieden, dass sie als Geschäftsfrau reüssieren wollte. Und ihr war immer bewusst gewesen, dass das sehr viel Einsatz und ein dickes Fell erforderte. Glücklicherweise mangelte es ihr an beidem nicht. Ganz im Gegenteil.
Nachdem sie die neuen Anstellungsverträge durchgesehen hatte, checkte sie ihre persönlichen E-Mails. Eine Nachricht von der Besitzerin des Valley View Motels, die sich nach ihren persönlichen Vorlieben erkundigte. Martha war beeindruckt. Ein Landmotel, das seine Gäste derart betreute? Vielleicht würde sie doch nicht drei Tage »unter Landeiern« erleben. Sie hatte zwar nicht vor, mit den anderen Gästen zu essen, geschweige denn zu singen oder Witze zu erzählen, doch Fragebögen mochte sie. Sie füllte den ersten Teil in Rekordtempo aus, ignorierte die letzten drei Fragen, klickte auf »Senden«, holte ihre Tabellen hervor und vertiefte sich in die
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