Die Frauen von Clare Valley
machte nicht nur großartige Christmas Puddings, sondern ebenso gute Kuchen, Brötchen, Brote und sogar Scones, sodass die Kundschaft das ganze Jahr über herbeiströmte, nicht nur zur Weihnachtszeit. Holly arbeitete seit zwei Jahren für June, anfangs Teilzeit nach der Schule, seit zehn Monaten Vollzeit. Sie liebte alles an diesem Beruf, vom Backen bis zum Verkaufen – wie die Gewürze rochen, sich der Teig anfühlte, es aussah, wenn er aufging –, und sie liebte die warme und farbenfrohe Atmosphäre der Bäckerei, mit ihren knusprigen Brötchen und eleganten Törtchen, ausschließlich nach Junes Rezept. Holly lernte alles der Reihe nach, und durch Junes geduldige, sorgfältige Unterweisung wuchs ihr Selbstvertrauen. »Du hast wirklich Talent«, hatte June ihr vor einer Woche erst gesagt, als Holly ein Blech makelloser Biskuitkuchen produziert hatte. Von dem Kompliment hatte Holly tagelang gezehrt.
Nun nutzte sie die kurze Atempause, um Tische und Stühle in der kleinen Sitzecke abzuwischen. June achtete penibel auf Sauberkeit und Ordnung. Als die Tür aufging, hockte Holly schon hinter der Theke, um die Regale zu reinigen.
Eine Kinderstimme verkündete: »Wir hätten gern fünf Brötchen, ein Rosinenbrot …«
»… und fünfzehn Froschkuchen?«
Holly spähte durch die Theke. Ihre kleinen Schwestern strahlten ihr entgegen. Sie richtete sich auf und stieß sich fast den Kopf an einem der Regale. »Belle! Chloe! Was macht ihr denn hier?«
»Mum hat uns nicht abgeholt«, sagte Chloe. »Also sind wir hergekommen, genau wie du gesagt hast, falls so was noch mal passiert.«
Belle drückte die Nase an die Glasscheibe. »Können wir wirklich fünfzehn Froschkuchen haben?«
»Nein, Belle, leider nicht«, sagte Holly. »Was ist denn mit Mum? Wo ist sie?«
»Ich weiß nicht«, sagte Chloe. »Wir haben eine Weile vor der Schule gewartet, aber sie ist nicht gekommen, und dann haben wir beschlossen, zu dir zu gehen.«
»Habt ihr eurer Lehrerin Bescheid gesagt? Nicht? Oh, Chloe, das hättet ihr tun müssen. Was, wenn Mum noch kommt und ihr nicht da seid?« Holly holte ihr Handy hervor. »Mum, ich bin’s. Die Mädchen sind bei mir … Ich weiß. Ja, sie sind gelaufen … Nein, aber … Hast du ihnen denn gesagt, dass Dad stattdessen kommt? Tja, er war nicht da. Nein. Okay. Mum, bitte … Gut, gut. Okay. Tschüss.«
»Ist sie wieder mit Dad böse?« Chloe war sehr ernst.
»Ist sie mit uns böse?« Belle war ebenso ernst.
Holly hätte ihre kleinen Schwestern am liebsten fest umarmt und nie mehr losgelassen. Sie waren doch noch Kinder. Sie sollten solche Fragen gar nicht stellen. Sie sollten auch nicht über zwei Kilometer zu Fuß gehen, weil ihre Mutter vergessen hatte, ihnen zu sagen, dass ihr Vater sie abholen würde. Und sie sollten erst recht nicht hören, dass er das vergessen hatte.
»Dieser nichtsnutzige Trottel!«, hatte Hollys Mutter eben ins Telefon gebrüllt. »Ich hole sie immer ab. Und ein Mal, ein einziges Mal, bitte ich ihn darum, und sieh, was dann passiert. Mir hätte klar sein müssen, dass er das vergisst. Er ist ja so verdammt beschäftigt mit seinem …«
Holly hatte all das schon gehört, viel zu oft. Es war, als ob ihre Eltern nach einem Lehrbuch für schlechtes Verhalten lebten. 1. Streiten Sie unentwegt. 2. Achten Sie darauf, dass Ihre Kinder zwischen die Fronten geraten. 3. Machen Sie anderen das Leben möglichst schwer.
Holly kniete sich vor ihre Schwestern. Sie würde ihnen nur sagen, was nötig war. »Also, ich kann euch keine fünfzehn Froschkuchen und auch keine Brötchen geben, weil mich sonst euer Zahnarzt umbringt.« Hinter ihr erklang ein Geräusch. »Und meine Chefin auch.«
»Allerdings«, sagte June, die mit einem Karton weihnachtlich verpackter Christmas Puddings, rotes Papier, grüne Schleifen, aus dem Lager kam. »Hallo Chloe-Belle.« Sie nannte Hollys Schwestern immer mit dem Doppelnamen. Die Mädchen fanden das toll. »Schwänzt ihr wieder die Schule? Also wirklich. Ich sollte die Polizei rufen.«
»Die Schule ist aus, June«, sagte Chloe.
»Wir haben für heute frei«, sagte Belle. »Bis morgen. Morgen gehen wir wieder in die Schule.«
»In dem Fall braucht ihr etwas, was euch bis morgen Energie gibt. Scones, Brötchen oder Froschkuchen?«
»Du hattest nicht mit ihnen gerechnet, oder?«, flüsterte June Holly zu, als die Mädchen jedes mit einem Glas Milch, einem grünen Froschkuchen und einem Comic-Heft an einem Tisch saßen. »Mal wieder Stress zu Hause?«
Holly
Weitere Kostenlose Bücher