Die Frauen von Clare Valley
nickte. In ihrem ersten Jahr bei June hatte sie kein Wort über die häusliche Situation verloren. Doch eines Tages war sie, nachdem sie die ganze Nacht lang mit den Mädchen wach gelegen hatte, weil sich ihre Eltern angebrüllt hatten, mit furchtbar dunklen Augenringen zur Arbeit gekommen. »Bist du krank?«, hatte June in ihrer unverblümten Art gefragt. »Du siehst aus wie der Tod. Du verdirbst meinen Kunden ja den Appetit.«
Holly hatte überreagiert. »Bitte, wirf mich nicht raus«, hatte sie mit Tränen in den Augen gefleht. »Ich liebe diesen Job. Bitte, June.« June hatte ihr ein Glas Wasser und einen Stuhl geholt und sich eine Viertelstunde lang angehört, was zwischen Hollys Eltern vorgefallen war und immer wieder vorfiel.
»Haben sie es mal mit einer Eheberatung versucht?«, hatte June gefragt.
»Bis dahin kommen die beiden gar nicht. So lange können die mit ihren Vorwürfen keine Pause machen.«
»Und gibt es niemanden, bei dem du leben könntest, wenigstens für eine Weile? Eine Tante? Einen Onkel? Großeltern?«
Holly hatte den Kopf geschüttelt.
»Könntest du nicht ausziehen? Dir eine eigene Wohnung suchen?«
»Und Belle und Chloe bei den beiden lassen? Niemals.«
»Warum sind deine Eltern überhaupt noch zusammen? Wäre es nicht für alle Beteiligten besser, sie würden sich trennen?«
»Das haben sie versucht, ein Mal, eine Woche lang.« Doch das hatte die Situation nur verschlimmert. Hollys Mutter hatte darauf bestanden, Belle und Chloe mitzunehmen, und war zu einer Freundin gezogen. Holly war bei ihrem Vater geblieben, aus schlechtem Gewissen, aus Liebe, aus einer Mischung aus beidem heraus. Sie hatte ihre Schwestern jeden Abend angerufen, und es hatte ihr beinahe das Herz gebrochen, ihre traurigen Stimmen zu hören. Am Ende hatte sie ihre Mutter überredet, wieder nach Hause zu kommen, hatte an der Stelle ihres Vaters versprochen, dass von nun an alles anders würde. Zwei Tage lang war alles anders geworden. Am dritten Tag hatte der Kleinkrieg von Neuem begonnen.
»Ihr armen Würmchen«, hatte June gesagt.
Es hatte Holly schon geholfen, endlich einmal darüber zu sprechen. June hakte seither selten nach, nur hin und wieder äußerte sie eine vorsichtige Frage. Doch sie war sehr großzügig. Wenn sie eine zusätzliche Hilfe benötigte, fragte sie Holly immer als Erste. Auch was an Brötchen, Brot und Kuchen übrig blieb, wanderte meist zu Holly. »Nervennahrung«, sagte June dann bloß.
In der nächsten Viertelstunde gab es einen solchen Kundenansturm, dass an eine Unterhaltung nicht zu denken war. Als wieder Ruhe einkehrte, ging June zu den Mädchen und lobte sie dafür, dass sie so lange an ihrem Froschkuchen aßen – sie hatten sich kleine Bissen vom Rand abgebrochen und arbeiteten sich nun zur cremigen Füllung vor. June stellte den Mädchen vier Dosen mit Zuckertütchen hin und bat die beiden, ihr beim Zählen zu helfen. »In jeder Dose sollten zwanzig sein. Könntet ihr das überprüfen?«
Sie stürzten sich sofort in die Arbeit. Und zählten laut.
June ging zurück zur Theke. »Und, habt ihr schon Pläne für Weihnachten?«
Holly zuckte mit den Schultern und wollte gerade sagen, nein, eigentlich nicht, da meldete sich Chloe begeistert zu Wort. »Und ob! Geheime Pläne!«
»Wir reißen aus!«, ergänzte Belle.
Chloe schmollte. »Belle! Das wollte ich June erzählen. Sei nicht immer so vorlaut.«
»Die beiden scherzen bloß«, warf Holly rasch ein.
»June können wir es doch erzählen, oder?«, drängte Chloe. Sie kam zur Theke, mit leuchtenden Augen. »Wir haben ein Glücksspiel gewonnen, June. Wir fahren in ein Motel, das Valley soundso heißt. Drei Nächte. Da ist sogar ein Swimmingpool.«
»Und es ist nur zwei Stunden entfernt«, sagte Belle, die nun auch zur Theke kam. »Holly fährt uns.«
»Ihr fahrt alle fünf?«, fragte June. »Das wird sicher schön.«
Belle schüttelte den Kopf. »Nein, Mum und Dad nicht.«
»Doch, Belle«, sagte Chloe, »Sie dürfen mitkommen und in Kartons schlafen, aber nur, wenn sie nicht streiten.«
»Na, das klingt toll«, sagte June und warf Holly einen Blick zu à la »Kinder haben eine blühende Fantasie, was?«.
»Das sind zwei verrückte Hühner«, erwiderte Holly und arrangierte geschäftig die Christmas Puddings.
»Und was macht ihr wirklich zu Weihnachten?«, fragte June noch einmal, als Chloe und Belle wieder ganz darauf konzentriert waren, die Reste ihrer Froschkuchen auf den Tellern hin und her zu schieben.
»Ich weiß
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