Die Frauen von Clare Valley
am nächsten Morgen um sechs Uhr aufwachte, Augenblicke nur, bevor die Babys unruhig wurden, war er schon zur Arbeit gefahren.
Kapitel 10
Lola war bereits seit zwei Stunden im Laden und noch nicht dazu gekommen, auch nur eine gebrauchte Krawatte zu verkaufen, ganz zu schweigen davon, E-Mails zu checken oder über Bett und Carrie nachzudenken. Sie wurde von einem Strom belustigter Geschäftsinhaber, Kunden und Passanten beansprucht, die zu wissen verlangten, was da bloß in ihrem Schaufenster erschienen sei.
»Ich weiß ja, was ich sehe, aber was bitte soll es sein?«, fragte Len, der Metzger.
Lola ließ sich nicht aus der Reserve locken, sondern plapperte munter Mrs Kernaghans Worte nach: »Das ist eine bildhafte Umsetzung der Urkräfte in der Natur und des ewigen Kampfes zwischen den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft.«
»Und das hat mit Weihnachten was zu tun?«, wollte der Leiter des Baumarkts wissen. In seinem Schaufenster stand eine Puppe in australischem Weihnachtsoutfit – rote Mütze, Boardshorts und ein Streifen Zinkcreme auf der Nase.
»Das müssen Sie Mrs Kernaghan fragen.«
Leider war Mrs Kernaghan auf mysteriöse Weise verschwunden, seit sich gezeigt hatte, dass ihre Auslage mehr Gelächter als bewundernde »Ahs« und »Ohs« provozierte.
Wieder öffnete sich die Tür. Lola sah auf. Ein ihr fremdes Paar betrat den Laden. Gut. Hoffentlich waren das Auswärtige, die keinen vorwitzigen Kommentar äußern wollten.
Das Paar schaute sich eine Weile um, flüsterte miteinander, dann kam der Mann zu Lola. Mit leeren Händen.
»Verzeihen Sie die Frage …«
Lola wappnete sich.
»Der Stoff, der da an Ihrer Schaufensterpuppe hängt, ist der zu verkaufen?«
»Sie möchten den Stoff kaufen? Wieso um alles in der Welt?«
Der Mann wirkte leicht verlegen. »Wir sind vom Riverland und haben Probleme mit den Vögeln, die sich in Scharen über unser Getreide hermachen. Wir haben schon alles versucht, doch dann haben wir im Netz gelesen, dass wir es vielleicht mal mit einer neuen Art Vogelscheuche versuchen sollten.«
»Und Sie finden, das sieht wie eine Vogelscheuche aus?« Und nicht, als wäre man auf dem Set von Gefrier-Schocker – Hammer House of Horror ?, dachte Lola.
»Ein wenig schon«, sagte die Frau und ergänzte schnell: »Im besten Sinne natürlich.«
Könnte Lola es verkaufen? Nicht nur den Stoff, sondern das ganze Arrangement? Und Mrs Kernaghan sagen, es wäre ein Angebot gewesen, das sie unmöglich ausschlagen konnte? Von einem Galeristen aus Sydney, der ganz und gar von ihrer abstrakten Dekonstruktion der Urgewalten und bla, bla, bla beeindruckt war?
Das Paar fasste ihr Zögern als Nein auf. »Trotzdem danke. Wir haben tolle Ideen bekommen. Wir werden uns ähnlich farbige Tücher suchen.«
»Warten Sie«, sagte Lola. Fünf Minuten später winkte sie dem Paar nach, das selig mit den Stoffresten davonzog. Gott sei Dank, wenigstens das war weg. Schon der Anblick hatte ihr Augenflimmern verursacht.
Sie hatte gerade die Kleiderständer aufgeräumt, da ging die Tür erneut auf. Aus einem höflichen Lächeln wurde ein ehrliches. »Emily!«, rief Lola. »Was für eine angenehme Überraschung. Und wenn es irgendwie geht, erspar mir bitte eine beleidigende Bemerkung über unser Schaufenster.«
»Nun ja, es ist nicht zu übersehen«, sagte Emily diplomatisch.
»Das sind die Pocken auch nicht«, entgegnete Lola und strahlte, als Emily eine Thermosflasche, an der noch das Kondenswasser perlte, aus der Tasche zog. »Für mich? Eines deiner Experimente?«
Emily nickte. »Die Hitzewelle soll noch Wochen anhalten, und da dachte ich, ich beglücke meine Stammkunden mit neuen Geschmacksrichtungen. Du hast doch nichts dagegen, dass ich sie an dir teste?«
»Ich fühle mich geehrt«, erwiderte Lola. »Was werde ich denn trinken?«
»Den Geißberg-Mix«, sagte Emily. »Nach dem Aussichtspunkt.« Emily taufte alle ihre Getränke nach lokalen Sehenswürdigkeiten.
»Und das klingt nicht, als hättest du eine Ziege in den Mixer geworfen? Darling, das war ein Scherz.« Lola nippte an ihrem Glas. »Lass mich raten – die Basis ist Zitronenwasser, dann ein Hauch von Minze, eine Spur Ingwer und, nein, sag nichts, Himbeeressenz? Oder Erdbeere?«
»Himbeere. Lola, du bist unglaublich. Einer der hiesigen Winzer sollte dich zur Weinprüferin ernennen.«
»Über meine Lippen kommt nur Gin, Emily. In meinem hohen Alter will ich meine Blutgefäße nicht noch auf Shiraz oder Riesling umstellen. Köstlich, meine
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