Die Frauen von Clare Valley
das unterschreiben. Sie hatte sich oft gefragt, ob Geraldine unter ihrer ständigen Präsenz gelitten hatte. Gut möglich. Doch falls dem so war – echtes Mitgefühl konnte Lola für ihre Schwiegertochter nicht aufbringen. Was geschehen war, war geschehen. Und Jims jüngstes Eingeständnis, dass Geraldine am Computer herumgeschnüffelt hatte und hinter Lolas Rücken schon den raschen Übergang in ein Altersheim plante, hatte in Lola auch nicht mehr Mitgefühl oder Zuneigung für ihre Schwiegertochter geweckt. Trotzdem, um aller Beteiligten willen galt es, die Form zu wahren.
Lola lächelte ihre Schwiegertochter an. »Geraldine, meine Liebe, wie geht es dir? Mit all der Arbeit? Du bist wirklich unermüdlich.« Und der Preis für die Rolle der höflichsten Schwiegermutter geht an – Lola Quinlan!
»Alles bestens, danke.«
Es kam keine Gegenfrage, obwohl sie sich seit Tagen nicht gesehen, seit jenem Abend im Büro und Jims ungeheuerlicher Offenbarung nicht miteinander gesprochen hatten. Nun aber, entschied Lola spontan, war es an der Zeit.
»Ihr habt also beschlossen, euch zu verändern?«
Geraldines Kopf fuhr hoch. »Ich dachte …«
»Jim hätte mich gebeten, nicht darüber zu sprechen? Hat er, ja. Aber im Ernst, meine Liebe, das Thema steht doch im Raum. Oder vielmehr im Motel. Du trägst dich ja offenbar schon länger mit dem Gedanken, wie ich höre.«
Geraldine putzte unbeeindruckt weiter. Der Anblick, wie Geraldine an dem Ofen herumrieb und so direkten Blicken auswich, machte Lola rasend. Das war womöglich die letzte Gelegenheit, ein offenes und ehrliches Gespräch zu führen. Und so sagte Lola in dem Tonfall, in dem sie sonst im Laden unflätige oder raufende Teenagerjungs zurechtwies: »Geraldine, würdest du bitte für eine Minute mit dem Putzen aufhören und mit mir sprechen?«
Das half. Geraldine wirkte vollkommen entgeistert, legte aber den Schwamm beiseite.
Lola begann mit den Worten: »Wir haben in all den Jahren kaum miteinander geredet. Doch vielleicht ist es an der Zeit.«
»Wieso?«
»Wieso?« Lola lachte. »Weil ich Jims Mutter bin.«
»Ich habe Jim geheiratet, Lola. Nicht dich und Jim.«
»Beim Kauf von einem gibt es den zweiten gratis dazu.« Geraldine lächelte nicht. Da sprach Lola Klartext. »Und das hat dich immer angewidert, oder?« Die Antwort, die sie darauf erhielt, brachte Lola völlig aus der Fassung. Denn sie hörte weder Ausflüchte noch Phrasen.
»Ja, Lola. Immer.«
Sie stockte nur kurz. »Verstehe. Und warum?«
»Weil ich mein eigenes Leben führen wollte. Mit meinem Mann und meinen Kindern. Ich habe als Kind genug geteilt.«
Lola sah sie verständnislos an.
»Es ist dir nicht mal mehr bewusst, oder? Ich war eines von acht Geschwistern, Lola. Das siebte von acht Kindern. Es mag Menschen geben, die große Familien lieben, doch ich habe es gehasst. Den Lärm, das Chaos. Es war so schwer, Gehör oder Aufmerksamkeit zu finden. Als ich Jim kennengelernt habe, hatte ich das Gefühl, er sei der friedlichste Mensch auf Erden. Nie hat er geschrien, nie sich etwas gegriffen. Er hat mit mir, nicht zu mir gesprochen.«
»Ich habe ihn gut erzogen.«
Auch da kein Lächeln. »Er ist ein eigenständiger Mensch, Lola. Auch wenn du das nicht wahrhaben willst.«
»Wie bitte?«
»Jim liebt dich. Vergöttert dich. Bewundert dich. Er weiß, wie schwer es für dich war, ihn nach dem Tod seines Vaters allein großzuziehen, wie hart du arbeiten musstest, damit er die Schule beenden konnte. Aber warum muss er für deine Opfer zahlen? Wann hört das endlich auf? Wann darf er sein eigenes Leben leben? Arbeiten, wo er will?«
»Du irrst dich. Du irrst dich gewaltig. Jim wollte immer mit mir gemeinsam ins Geschäft.«
»Hatte er denn eine Wahl? Hatte ich denn eine Wahl? Es war doch immer schon beschlossene Sache. Du bist von Motel zu Motel gezogen und hast stets sehr deutlich gemacht, dass er mitzukommen hatte. Selbst nach unserer Hochzeit, selbst, nachdem wir Kinder hatten, hat sich daran nichts geändert.«
»Er wollte mitkommen. Es war sein Wunsch, die Motels gemeinsam mit mir zu führen. Du schreibst die Geschichte um. Und sag mir nicht, du hättest meine Hilfe bei den Mädchen nicht gebraucht. Was hättest du denn sonst gemacht? Sie tagsüber in die Wäschekammer gesperrt?«
»Ja, wir haben deine Hilfe bei den Mädchen gebraucht. Und sie haben dich geliebt. Und ich weiß, du hast sie geliebt. Ihnen all deine Aufmerksamkeit geschenkt …«
»Irgendjemand musste es ja
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