Die Frauen von Clare Valley
Weihnachtsbaum stand in einer Ecke.
Unwillkürlich wich Martha einen Schritt zurück. »Was zur Hölle …«
»Fröhliche Weihnachten, Martha!«, riefen ihr alle im Chor entgegen, als wären sie gedrillt.
Martha war sprachlos. Sie rührte sich nicht. Sie stand nur da und starrte alle an. Sie alle trugen Partyhüte. Sogar ihr Vater.
Schließlich ergriff ihre Schwester das Wort. »Wenn du nicht zu uns kommst, müssen wir eben zu dir kommen«, sagte sie. »Hi, Martha. Wie schön, dich zu sehen.«
»Hallo, Martha«, sagte ihre Mutter mit einem breiten Lächeln.
»Frohe Weihnachten«, sagte ihr Bruder und winkte.
»Frohe Weihnachten«, echote ihr Vater. Er lächelte nicht, doch unfreiwillig saß er garantiert nicht dort.
Und trotzdem. Auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall ließ sie sich hierzu zwingen. In dem Moment summte ihr BlackBerry. Es war Glenda.
»Denken Sie nicht einmal daran zu gehen. Hinter Ihnen stehen Wärmeplatten. Mit einem traditionellen Weihnachtsessen, Truthahn samt Plum Pudding. Es hat allen einiges an Umständen bereitet, heute Abend hier zu sein, und ich hoffe, dass Sie das würdigen. Ihre Mutter ist übrigens ganz reizend. Von ihr weiß ich auch, dass Ihr Mentor Ihr Vater war. Also folgen Sie auch heute seinem Vorbild. Er hat mir übrigens auch gefallen.« Und schon legte Glenda auf. Sie war Martha zuvorgekommen.
»Soll ich die mal aufmachen?«, fragte ihr Bruder mit einer Flasche Champagner in der Hand. Er wartete nicht auf das Signal. Der Korken flog aus der Flasche, der Champagner schäumte und sprudelte. Marthas Schwester und Mutter sprangen gerade noch rechtzeitig mit den Gläsern herbei.
In dem ganzen Trubel stand ihr Vater ruhig auf und schob den Stuhl an seiner Seite zurück. »Bitte, Martha, setz dich. Setz dich zu mir.«
Und zum ersten Mal seit drei Jahren tat Martha genau das, was man ihr sagte.
Gäste 5, 6 und 7
Holly gönnte sich und ihren müden Schwestern nach dem Kino ein Taxi für die Heimfahrt. Außerdem hatten Belle und Chloe so viel Popcorn und Eis gegessen, dass ihnen der ruckelnde Bus womöglich nicht bekommen würde. Den Film hatten sie ganz toll gefunden. Sogar Holly hatte Spaß gehabt. Zwei unbeschwerte Stunden voller Elfen, Weihnachtslieder und Musik. Belle und Chloe sangen seither unentwegt den Titelsong.
»Soll ich Sie hier rauslassen?«, fragte der Taxifahrer und hielt vor dem Tor.
»Hier ist prima, danke«, sagte Holly und reichte ihm einen Zwanzig-Dollar-Schein. Das Taxameter stand auf fünfzehn. »Behalten Sie den Rest. Frohe Weihnachten.«
Sie half den Mädchen aus dem Auto, ging zum Eingang und gab den Zahlencode ein. Vor ihnen öffneten sich langsam die Tore. Auf dem Weg zum Haus wünschte sich Holly, sie könnte das flaue Gefühl in ihrem Magen auch auf Eis und Popcorn schieben. Jedes Mal, wenn sie nach einem fröhlichen Abend heimkehrte, überfiel sie dieses Unwohlsein. Wenn sie doch vorher wüsste, was sie erwartete. Streit? Eisiges Schweigen? Geschlossene Schlafzimmertüren? Manchmal schliefen ihre Eltern in einem Zimmer, nicht aber nach einem hässlichen Streit. Dann wünschte sich Holly immer, das Haus wäre nicht so groß. Wenn es nicht so viele Zimmer gäbe, wären ihre Eltern gezwungen, sich ein Schlafzimmer zu teilen und ihre Probleme irgendwie zu lösen.
Nicht zum ersten Mal versuchte sie sich vorzustellen, wie es wäre, ein normales Elternhaus zu haben. Mit Belle und Chloe in ein Wohnzimmer zu kommen, in dem ihre Eltern friedlich beieinander saßen, fernsahen oder Zeitung lasen, ein Glas Wein oder einen Tee tranken und wie normale Eltern aufsahen und fragten: »Na, Mädchen! Wie war’s im Kino?«
Als sie ins Haus traten, kam ihre Mutter die Treppe herunter, noch in ihrem Arbeitsoutfit, Make-up und Frisur tadellos. Sie lächelte nicht.
»Hallo, Mädchen! Wie war’s im Kino?«
»Toll!«, sagte Belle.
»Soll’n wir dir was vorsingen?«, fragte Chloe.
»Heute Abend nicht. Es ist schon spät. Ab ins Bett mit euch. Holly, kommst du mit ins Wohnzimmer?«
»Ich habe den beiden versprochen, ihnen etwas vorzulesen.«
»Heute nicht. Mädchen, ab nach oben, bitte.«
Chloe zog eine Schnute. »Aber Holly liest uns immer …«
»Sofort!«
Sie rannten die Treppe hinauf. Holly folgte ihrer Mutter mit einem mulmigen Gefühl. Sie war so geübt darin, die Stimmung im Haus zu erfühlen, sie wusste, irgendetwas war geschehen. Und zwar nichts Gutes. Ihr Vater schaltete den großen Plasma-Screen aus. Auch er hatte sich noch nicht umgezogen – er
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